Lidice

„Heydrich, bemerkt zum ersten Mal die kleinen blonden Kinder, wie sie, mit Augen voll Neugier, sich bei den Händen halten oder aufeinander hocken, die kleinsten im Nacken der etwas größeren. Ihm kommt ein Gedanke: Die Kinder als Geiseln wegführen! Er bewundert seine Geistesgegenwart. Geiseln wirken immer günstig auf das Verhalten der Bevölkerung, Kinder noch günstiger. Dabei wird sich zeigen, ob auch dieses Wort zweimal fällt, ob sogar bei diesem Wort seine Stimme nachklappt!“

(Zitat S. 13 in diesem Buch)

Lidice – Zusammenfassung

„Lidice“ ist ein erschütterndes Werk des deutschen Schriftstellers Heinrich Mann, das sich mit den schrecklichen Ereignissen des Zweiten Weltkriegs befasst, insbesondere mit dem Massaker in dem tschechischen Dorf Lidice. Heinrich Mann, ein prominenter Vertreter der literarischen Moderne und Bruder des berühmten Schriftstellers Thomas Mann, nutzte seine schriftstellerischen Fähigkeiten, um auf die Gräueltaten des NS-Regimes aufmerksam zu machen und deren Verbrechen literarisch zu verarbeiten.

Lidice – Inhalt und Handlung

Lidice – Bekanntmachung der deutschen Besatzungsmacht vom 10. Juni 1942

Das Buch beginnt mit der Darstellung des friedlichen Lebens in Lidice, einem kleinen Dorf in der Nähe von Prag. Die Dorfbewohner führen ein einfaches, aber zufriedenes Leben, geprägt von traditioneller Landwirtschaft und Gemeinschaftssinn. Heinrich Mann beschreibt detailliert die täglichen Routinen, die sozialen Strukturen und die zwischenmenschlichen Beziehungen der Dorfbewohner, wodurch der Leser eine tiefe emotionale Verbindung zu den Charakteren aufbauen kann.

Die Idylle wird jäh zerstört, als im Mai 1942 der stellvertretende Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, Reinhard Heydrich, bei einem Attentat schwer verletzt wird und kurz darauf stirbt. In einem Akt grausamer Vergeltung ordnet Adolf Hitler die völlige Zerstörung von Lidice an. Die Männer des Dorfes werden brutal ermordet, die Frauen und Kinder in Konzentrationslager deportiert, und das Dorf selbst wird dem Erdboden gleichgemacht. Heinrich Mann schildert diese Ereignisse mit schockierender Präzision und emotionaler Tiefe, wobei er sowohl die Perspektiven der Täter als auch der Opfer beleuchtet.

Lidice – Thematische Schwerpunkte

Ein zentrales Thema des Buches ist die Unmenschlichkeit und Brutalität des Krieges. Mann zeigt die sinnlose Gewalt und das unermessliche Leid, das durch die NS-Diktatur über unschuldige Menschen gebracht wurde. Gleichzeitig beleuchtet er die Mechanismen der Macht und die Manipulation der Massen durch Propaganda und Angst.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Widerstandsfähigkeit und der Überlebenswille der Menschen. Trotz der schrecklichen Ereignisse und des unvorstellbaren Leids, das die Dorfbewohner erleiden müssen, zeigt Mann ihre ungebrochene Menschlichkeit und ihren Mut. Dies wird besonders durch die Schilderung einzelner Schicksale deutlich, die die individuelle Tapferkeit und den Zusammenhalt der Gemeinschaft hervorheben.

Lidice – Stil und Sprache

Heydrichs Auto nach dem Attentat

Heinrich Mann verwendet in „Lidice“ eine klare und eindringliche Sprache, die den Leser unmittelbar in das Geschehen hineinzieht. Seine Beschreibungen sind präzise und detailreich, ohne jedoch in Sensationslust oder Pathos zu verfallen. Er schafft es, die Grausamkeit und das Leid in einer Weise darzustellen, die den Leser tief berührt und zum Nachdenken anregt.

Die narrative Struktur des Buches ist ebenfalls bemerkenswert. Mann wechselt geschickt zwischen verschiedenen Perspektiven und Zeitebenen, um ein umfassendes Bild der Ereignisse zu zeichnen. Durch diese Technik gelingt es ihm, die Komplexität der historischen und menschlichen Dimensionen des Massakers von Lidice zu erfassen und darzustellen.

Lidice – Historischer Kontext und Bedeutung

Lidice nach der  Zerstörung

Das Massaker von Lidice war eines der schrecklichsten Verbrechen des Zweiten Weltkriegs und ein symbolträchtiges Ereignis im Kampf gegen den Faschismus. Heinrich Mann, der selbst ein entschiedener Gegner des NS-Regimes war und ins Exil gehen musste, schrieb „Lidice“ als ein Mahnmal gegen das Vergessen und als Anklage gegen die Barbarei des Nationalsozialismus. Das Buch dient nicht nur als historische Dokumentation, sondern auch als literarisches Zeugnis der menschlichen Tragödie und des Widerstands gegen Unterdrückung und Tyrannei.

Lidice – Heinrich Mann

Heinrich und Thomas Mann

Heinrich Mann, geboren am 27. März 1871 in Lübeck, war einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war der ältere Bruder des berühmten Schriftstellers Thomas Mann. Heinrich Manns Werk ist geprägt von scharfer Gesellschaftskritik, humanistischem Engagement und einer tiefen Abneigung gegen Autoritarismus und Unrecht. Er starb am 11. März 1950 in Santa Monica, Kalifornien, im Exil.

Frühes Leben und Ausbildung

Heinrich Mann wuchs in einer wohlhabenden Kaufmannsfamilie auf. Sein Vater war Senator und Getreidehändler, seine Mutter stammte aus einer deutsch-brasilianischen Familie. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1891 zog die Familie nach München, wo Heinrich Mann eine Buchhändlerlehre begann. Später arbeitete er als Lektor in einem Verlag in Dresden und Paris.

Literarische Anfänge

Seine ersten literarischen Versuche waren stark von der französischen Literatur beeinflusst, insbesondere von Émile Zola und dem Naturalismus. Sein Debütroman In einer Familie erschien 1894. In diesen frühen Jahren entwickelte er bereits die gesellschaftskritische Perspektive, die sein gesamtes Werk prägen sollte.

Gesellschaftskritische Romane

Heinrich Manns berühmteste Werke sind seine gesellschaftskritischen Romane, in denen er die sozialen und politischen Missstände seiner Zeit anprangerte.

Professor Unrat (1905)

Einer seiner bekanntesten Romane ist Professor Unrat, der 1905 veröffentlicht wurde. In diesem Werk kritisiert Mann die verknöcherte und heuchlerische bürgerliche Gesellschaft. Die Geschichte des strengen und repressiven Lehrers Professor Raat, der durch die Beziehung zu einer Nachtclubsängerin gesellschaftlich und moralisch verfällt, war ein Skandal und zugleich ein großer Erfolg. Der Roman wurde 1930 als Der blaue Engel mit Marlene Dietrich verfilmt und erlangte Weltruhm.

Die kleine Stadt (1909)

In Die kleine Stadt (1909) thematisiert Mann das Leben in einer kleinen Provinzstadt und setzt sich kritisch mit der Enge und dem Konservatismus des bürgerlichen Lebens auseinander. Der Roman ist eine Satire auf die Selbstzufriedenheit und die Verlogenheit der kleinbürgerlichen Gesellschaft.

Der Untertan (1918)

Der Untertan gilt als eines der bedeutendsten Werke Heinrich Manns und als ein Klassiker der deutschen Literatur. Der Roman, der während des Ersten Weltkriegs geschrieben und 1918 veröffentlicht wurde, ist eine scharfsinnige und bissige Satire auf das wilhelminische Deutschland. Die Hauptfigur Diederich Heßling ist ein opportunistischer und autoritätshöriger Karrierist, der alle charakteristischen Merkmale des deutschen Untertanengeistes verkörpert. Der Roman ist eine tiefgehende Analyse der politischen und sozialen Strukturen, die den Aufstieg des Nationalsozialismus ermöglichten.

Exil und politische Engagement

Heinrich Mann war ein entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und engagierte sich politisch gegen das aufkommende Regime. 1933, nach der Machtergreifung Hitlers, musste er ins Exil gehen. Zunächst lebte er in Frankreich, später in den USA. Während seines Exils schrieb er weiterhin gesellschaftskritische Werke und Essays, in denen er vor den Gefahren des Faschismus warnte.

Das Kaiserreich (1930–1938)

In der Trilogie Das Kaiserreich, bestehend aus den Romanen Die Armen (1930), Der Kopf (1935) und Die Zeitgenossen (1938), setzt sich Mann intensiv mit der deutschen Geschichte und der politischen Entwicklung vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik auseinander. Die Trilogie ist eine umfassende Analyse der gesellschaftlichen und politischen Bedingungen, die zur Katastrophe des Nationalsozialismus führten.

Sachbücher und Essays

Neben seinen Romanen verfasste Heinrich Mann zahlreiche Essays und Sachbücher, in denen er sich mit politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Themen auseinandersetzte. Sein Essayband Geist und Tat (1931) ist eine Sammlung von Schriften, in denen er seine politischen Ansichten darlegt und zur aktiven Teilnahme am gesellschaftlichen Leben aufruft.

Spätwerk und Tod

Im Exil entstanden auch weitere bedeutende Werke, darunter der Roman Empfang bei der Welt (1945), in dem er seine Erfahrungen und Eindrücke aus dem Exil verarbeitete. Heinrich Manns letzte Jahre waren von gesundheitlichen Problemen und finanziellen Schwierigkeiten geprägt. Er starb 1950 in Santa Monica, ohne in seine Heimat zurückkehren zu können.

Bedeutung und Vermächtnis

Heinrich Manns Werk zeichnet sich durch seine tiefe Menschlichkeit und sein unermüdliches Engagement für Gerechtigkeit und Freiheit aus. Seine scharfsinnige Gesellschaftskritik und seine literarische Brillanz machen ihn zu einem der wichtigsten Schriftsteller seiner Zeit. Seine Romane und Essays sind auch heute noch von großer Relevanz und werden weiterhin gelesen und geschätzt. Heinrich Mann hinterließ ein reiches literarisches Erbe, das als Mahnung gegen Unrecht und als Plädoyer für eine bessere Welt dient.

Lidice – Buch

Heinrich Mann.
Lidice.
Roman.
Erstdruck: El Libro Libre, Mexiko 1943.
Durchgesehener Neusatz, der Text dieser Ausgabe folgt: Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1984.

Vollständige Neuausgabe, Göttingen 2022.
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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 27. März 2024

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