Der Haß
»Wir erdulden, was in Deutschland geschieht, und machen dabei die Wahrnehmung, daß wir vorher das Phänomen des Hasses kaum gekannt hatten. … Und besteht der Scheiterhaufen auch besonders aus den Werken Lebender, schon fangen sie an, auch Klassiker daraufzuwerfen. Ist doch unsere klassische Literatur ein einziges Zeugnis der Menschlichkeit, zu ihrer eigenen Gesinnung der verhaßte Gegensatz..«
(Zitat S. 30 in diesem Buch)
Kein Buch könnte in einer sich zunehmend polarisierenden Welt aktueller sein als dieses – Heinrich Manns erstmals 1933 im Exil veröffentlichte Essays zur Deutschen Zeitgeschichte. Die Hellsichtigkeit bei seiner Analyse des Nationalsozialismus, die Klarheit und Schärfe bei seinen Artikeln zu Goebbels und Hitler, und die zutreffenden Vorhersagen all der Schrecken die noch kommen würden.
Heinrich Manns Essay-Sammlung „Der Haß“ erschien im Spätsommer 1933, wenige Monate nach seiner Flucht ins Exil. Der Band wurde im Pariser Verlag Gallimard und kurz darauf im Querido Verlag in Amsterdam veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe trug die Widmung „Meinem Vaterland“. Der Anstoß zur Veröffentlichung kam insbesondere durch das Drängen des französischen Germanisten Félix Bertaux, der Heinrich Mann dazu ermutigte, das menschenverachtende nationalsozialistische System öffentlich zu demaskieren.
In seinen Essays beschreibt Heinrich Mann den Hass als zentrale Triebkraft der deutschen Diktatur. Er charakterisiert die nationalsozialistische Bewegung als einen „Aufstand der weniger Gesitteten gegen die Vernunft und ihre Verteidiger“. Dieser Hass sei so extrem, dass er selbst nach dem Sieg der Nazis und der Vernichtung ihrer Feinde nicht nachlasse.
Die Veröffentlichung von „Der Haß“ wurde in der gleichgeschalteten deutschen Presse heftig kritisiert. Die literarische Welt bezeichnete das Werk als „schmutziges Machwerk“ und verurteilte Heinrich Mann als „einen jener Literaten, die das neue Deutschland verleumden und die anderen Völker gegen uns aufhetzen“.
Historischer Kontext und Entstehung
Heinrich Mann war 62 Jahre alt, als er nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten aus der Berliner Akademie der Künste ausgestoßen und ins Exil gezwungen wurde. Sein Name stand auf der ersten Ausbürgerungsliste. Bereits zu Beginn seiner Emigration in Frankreich wandte er sich vehement gegen die neuen Machthaber. Er veröffentlichte Essays und Artikel in Exil-Zeitschriften und in der Zeitung „La Dépêche“ in Toulouse. Diese Texte, zusammen mit einigen Arbeiten, die vor seiner Vertreibung entstanden waren, bildeten das Material für den Essay-Band „Der Haß“.
Inhalt und Themen
Der Essayband trägt den Untertitel „Deutsche Zeitgeschichte“ und widmet sich der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Ideologie und Praxis. Die Kapitelüberschriften, wie „Im Reich der Verkrachten“, „Göring zittert und schwitzt“ oder „Der sichere Krieg“, geben einen klaren Hinweis auf die scharfe Kritik und die polemische Natur der Essays.
Zusammenfassung ausgewählter Kapitel
Kapitel „Der Haß“
Das Kapitel „Der Haß“ aus Heinrich Manns gleichnamigem Essayband beschäftigt sich intensiv mit der Natur und den Auswirkungen des Hasses, insbesondere im Kontext der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland.
Einleitung und Definition des Hasses
Heinrich Mann beginnt mit der Feststellung, dass die Menschen in zivilisierten Gesellschaften unter normalen Bedingungen nur einen gemäßigten, relativen Hass kennen. „Ein überspannter Haß wäre dir nicht gesund. Außerdem wäre er unwürdig deiner Intelligenz.“ Er beschreibt, wie der Hass in Deutschland unter den Nationalsozialisten eine völlig neue, ungebremste und brutale Form angenommen hat, die zuvor kaum gekannt war.
Zwei Klassen von Hasserfüllten
Mann unterscheidet zwei Klassen von Menschen innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung: „die Bestie und dann der abtrünnige Zivilisierte, der sich Gewalt antun mußte, um wieder Barbar zu werden.“ Er erklärt, dass der Hass des Zivilisierten, der sich bewusst gegen seine eigene zivilisatorische Erziehung wendet, mindestens ebenso stark ist wie der der Bestie.
Joseph Goebbels: Ein Fallbeispiel
Ein besonders bekannter Fall dieser abtrünnigen Zivilisierten ist Joseph Goebbels, der Minister für Propaganda. Mann beschreibt Goebbels als einen jungen Literaten, der sich der nationalsozialistischen Bewegung anschloss und „seinen israelitischen Lehrer vergessen“ hat. Goebbels‘ Reden und Schriften sind voller Hass gegen die Juden, Intellektuellen und Marxisten. „Er atmete Haß, er verpestete damit die Luft, wohin immer er kam.“ Seine früheren Misserfolge und persönlichen Komplexe, wie sein Klumpfuß, trieben seine Rachsucht an.
Hass als Fundament der Bewegung
Mann argumentiert, dass der Hass das fundamentale Element der nationalsozialistischen Bewegung ist: „Der Aufstand der weniger Gesitteten gegen die Vernunft und ihre Verteidiger, daraus besteht diese Bewegung ganz, ihre Nahrung aber war ein Haß, so wüst, so schauerlich, daß er nicht einmal abrüsten konnte, nachdem der Feind unterlegen und vom Erdboden verschlungen war.“ Dieser Hass ist so tief verwurzelt, dass er selbst nach dem Sieg der Nationalsozialisten nicht abnimmt, sondern weiter wächst und schließlich auch die Hasser selbst zerstört.
Die Rolle der Republik und die Entstehung des Hasses
Mann erläutert, dass die Weimarer Republik trotz ihrer Mängel das freieste Regierungssystem war, das Deutschland je gekannt hatte. „Der wahre Haß hat in seiner unermeßlichen Tiefe mit unseren Fehlern nichts zu tun, aber viel mit unseren Werten.“ Der Hass der Nationalsozialisten richtete sich nicht gegen die Schwächen der Republik, sondern gegen ihre Ideale von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.
Der Hass und seine Folgen
Der Hass der Nationalsozialisten führte zu einer umfassenden Zerstörung der Zivilisation und der geistigen Kultur Deutschlands. Sie verbrannten Bücher und verfolgten Intellektuelle, weil diese die humanistischen Werte vertraten, die den Nationalsozialisten verhasst waren. „Wenn der Haß seine Grenzen erreicht hat und kein Genügen mehr findet, artet er in Furcht aus.“ Mann beschreibt, wie der Hass schließlich in Furcht umschlägt, als die Nationalsozialisten erkennen, dass sie trotz ihrer Macht nicht die Herzen und den Geist der Menschen beherrschen können.
Kapitel „Der große Mann“
Herkunft und Charakter des „großen Mannes“
Der große Mann ist Österreicher, was ihn für sein ganzes Leben prägt. Die Tatsache, dass er im alten Reich der Habsburger geboren wurde, verleiht ihm eine besondere Kennzeichnung, die er nicht loswerden kann. Er beruft sich vergeblich auf Figuren wie Friedrich von Preußen und Bismarck, aber eine glaubwürdigere Verwandtschaft besteht zwischen ihm und Franz von Österreich, einem Kerkermeister, der keine seiner verschiedenen Bevölkerungen liebte.
Vergleich mit historischen Figuren
Heinrich Mann zieht Parallelen zu historischen Persönlichkeiten wie Karl V. und Philipp II. von Spanien, die versuchten, den gesamten Kontinent unter Habsburg zu vereinen. Das Haus Habsburg verlor jedoch Stück für Stück seine Macht und hinterließ nur „angefaulte oder unbegabte Mitglieder“, die dennoch nicht auf ihre Methoden wie Gottesgnadentum und Spitzeltum verzichteten.
Nationale Eifersucht und Grausamkeit
Die Habsburger Monarchie nutzte nationale Eifersucht, um ihre Herrschaft zu verlängern, indem sie ihre Völker gegeneinander ausspielte. Diese Methoden führten zu einem tief verwurzelten Hass und Misstrauen. Besonders antisemitische Bewegungen um 1900 waren Vorläufer der späteren Entwicklungen in Deutschland.
Einfluss auf Deutschland
Ein tausendjähriger Despotismus hinterließ Spuren bei den Untertanen der Habsburger, darunter Grausamkeit und eine große Genussfähigkeit. Diese Eigenschaften führten zu einer Oberflächlichkeit und Leichtlebigkeit, die in Deutschland zersetzend wirkten. Heinrich Mann argumentiert, dass zu viele Österreicher in wichtigen Stellungen zur Zerstörung der deutschen Republik beigetragen haben.
Der Aufstieg des großen Mannes
Der große Mann stieg auf, indem er sich in die nationalsozialistische Bewegung einfügte. Er begann als Redner in kleinen Versammlungen und nutzte seine Rednergabe, um das Publikum zu überzeugen. Sein Hass und seine Rachsucht, gespeist durch persönliche Misserfolge, machten ihn zu einem effektiven Agitator. „Er atmete Haß, er verpestete damit die Luft, wohin immer er kam.“
Der Hass als treibende Kraft
Der Hass war der zentrale Antrieb des großen Mannes und seiner Bewegung. Er steigerte sich in seinen Reden, bis er eine große Zuhörerschaft anzog. „Der Haß, sogar, erster Antrieb der Persönlichkeit und ihrer ganzen Bewegung, war anfangs zögernd und kleinlich. Schwung bekam er erst, großartig und des großen Mannes würdig wurde er erst im Verlauf seiner Taten, die ausschließlich in Reden bestanden.“
Persönliche Ambitionen und Ignoranz
Der große Mann war nicht daran interessiert, etwas zu lernen oder zu arbeiten. „Ganz in Anspruch genommen von seiner eigenen, nunmehr berühmten Persönlichkeit, hatte der große Mann immer verschmäht, irgend etwas zu lernen.“ Seine Reden waren von Hysterie geprägt, und er setzte seine persönlichen Ambitionen über das Wohl des Landes.
Der irrationale Führer
Die Anbetung des großen Mannes durch das Volk beruhte auf irrationalen Emotionen. Seine Reden und Handlungen waren oft widersprüchlich und enthielten wenig Substanz. „Er zieht sich aus bis auf die Haut vor allen Leuten – sie können nicht genug staunen über diese anstandslose Selbstenthüllung eines Menschen mit allem, was er eigentlich verbergen sollte.“
Das Kapitel „Der große Mann“ bietet eine detaillierte Analyse des Aufstiegs des nationalsozialistischen Führers, der von persönlichen Mängeln und einem tief verwurzelten Hass angetrieben wird. Heinrich Mann zeichnet ein Bild eines Führers, der durch Manipulation und Hysterie eine Nation in den Abgrund führt.
Kapitel „Im Reich der Verkrachten“
Die Wahrnehmung der Hitler-Diktatur
Heinrich Mann beschreibt, wie die Hitler-Diktatur von einigen Beobachtern als „berechtigter Ausdruck“ der deutschen Nation betrachtet wird. Diese Beobachter sehen die Diktatur als eine vollständige Selbstenthüllung Deutschlands, im Gegensatz zur vorhergehenden Republik, die sie als Halbheit, Ausfluss von Furcht und Heuchelei empfinden.
Minderheit an der Macht
Mann betont, dass in Deutschland eine Minderheit zur Macht gelangt ist, die das Land in einem dauerhaften Bürgerkrieg hält. Diese Minderheit unterdrückt andere und zwingt sie zur scheinbaren Unterwerfung. Die intensive Propaganda des Regimes zeigt, dass die Wahrheiten des Regimes auf „schwachen Füßen“ stehen und äußerst strittig sind.
Deutsche Seele und Hitlerei
Mann warnt davor, die Hitler-Diktatur als verkörperte deutsche Seele anzusehen. Dies würde bedeuten, dass Deutschland in der Mitte Europas eine Nation ist, die mit ihrer ewigen Widerspenstigkeit die Wiederherstellung Europas verhindern könnte.
Hypnose der Massen
Die Massen in Deutschland waren durch die Propaganda hypnotisiert und bereit, die Machtergreifung Hitlers als unvermeidliches Verhängnis hinzunehmen. Die republikanischen Führer, die nicht rechtzeitig gehandelt hatten, verloren zuletzt sogar die Achtung voreinander.
Ende der Republik
Mann beschreibt das Ende der Weimarer Republik als unausweichlich, weil sie ihren Feinden alle Freiheiten gelassen hatte, während sie selbst keine Freiheiten in Anspruch nahm. Die Republik hatte die Massen für sich und hätte sie behalten können, hätte sie nur gewollt. Die Entscheidung zur glatten Gewaltanwendung der Diktatur wurde durch den Reichstagsbrand signalisiert.
Schuld der Hitlerei
Die verantwortlichen Individuen, die sich zur Zerstörung der Demokratie zusammengetan hatten, waren Verkrachte. Sie hatten in ihrem Leben nichts Nützliches erreicht und nutzten ihre persönlichen Rachegelüste und ihren Neid, um die Nation zu vergiften. „Ihr erbärmliches Dasein grenzte schon an die Unterwelt.“ Diese Menschen sind allein verantwortlich für die deutsche Schande, die durch Masseneinkerkerungen, Folterungen und Morde verursacht wurde.
Die Sieger der nationalsozialistischen Bewegung benehmen sich wie Verkrachte, regellos und krank. Sie haben nichts von Maß und Voraussicht, was notwendig wäre, um eine erlangte Stellung zu nutzen. „Wenn sie den ‚Marxismus‘ zerstört haben, zerstören sie ihn nochmals.“ Sie sind nur darauf aus, ihre Macht zu festigen und weiter Gewalttaten zu begehen.
Buchverbrennungen und Geistesstörungen
Mann beschreibt die Schamlosigkeit und Geistesstörungen der nationalsozialistischen Führer, die sich in ihren Taten und Reden zeigen. Buchverbrennungen sind ein Zeichen ihrer Unfähigkeit, eine Geisteskultur zu schaffen, von der sie ausgeschlossen sind. „Der winzige Literat, der als Minister dann alle seine angesammelten Missgefühle auspackte.“
Unterdrückung und Gewalt
Die Reden und Sitten des Landes sind von Unmenschlichkeit geprägt. Die wirklich anständigen Menschen können das Leben in einem Deutschland, das in die Hände der Unterwelt gefallen ist, nicht mehr ertragen. Die nationalsozialistische Führung zeigt nur die Spuren übler Leidenschaften und des Verbrechens.
Der Rassenstaat als Auslese der Minderwertigen
Mann schließt mit der Feststellung, dass der Rassenstaat nur eine Auslese der Minderwertigen darstellt. „Seht euch alle an, die im Reich der Verkrachten den Kopf hoch tragen und die anderen zertreten dürfen.“ Deutschland zeigt jetzt seine Bestien und Verrückten und sollte nicht mit dieser Minderheit gleichgesetzt werden.
Kapitel „Göring zittert und schwitzt“
Görings Interview und sein Zustand
Das Kapitel beginnt mit einem außergewöhnlichen Interview, das Hermann Göring der ausländischen Presse gibt. Göring nimmt einige Journalisten, darunter auch einen Franzosen, mit in seine Privatgemächer. Dort versichert er ihnen ausführlich, dass er gesund sei, obwohl Berichte aus Schweden von einem Wahnsinnsausbruch und Morphiumabhängigkeit sprechen. „Sein massiger Körper zitterte, von seinem dicken Kopf floß der Schweiß, und anstatt zu sprechen, schrie er, bis er erstickte und nicht mehr konnte.“
Kommunismus als Vorwand
Göring behauptet, der Kommunismus werde von ihm ausgerottet werden, was viele im Westen gern hören. Heinrich Mann stellt jedoch klar, dass die deutsche Republik niemals vor dem Kommunismus gerettet werden musste, sondern vor dem Nationalsozialismus. Die deutschen Kommunisten waren keine echten Kommunisten und hatten keine tief verwurzelte Überzeugung. Ihr Zulauf war vergleichbar mit dem der Nazis, getrieben von der Not der Massen und seelischer Verwirrung.
Unfaire Behandlung der Kommunisten
Mann beschreibt, dass die Kommunisten niemals dieselben Freiheiten wie die Nazis hatten. Die kommunistische „Rotfront“ wurde von der Republik aufgelöst, nicht von Göring. Die „S.A.“ der Nazis hingegen durfte weiterbestehen und verbreitete Unsicherheit und Gewalt. „Die Nazis durften toben in ihren Zeitungen, sie durften jeden einzelnen von uns unter Nennung seines Namens den Mördern empfehlen.“
Die Zerstörung der Republik
Die Nationalsozialisten begannen den Krieg gegen die Kommunisten mit der bewussten Absicht, anarchische Zustände herbeizuführen, um zur Macht zu gelangen. Sie wollten den Staat destabilisieren und nutzten den Reichstagsbrand als Vorwand, um ihre Herrschaft zu festigen. „Die Wahrheit ist, daß die Zivilisation keinen ärgeren Feind hat als diese Mörder aus Überzeugung, diese Rassenfanatiker und Totengräber der bürgerlichen Ordnung.“
Verräter und Machtübernahme
Mann erwähnt, dass die Nazis ihre Machtübernahme weniger ihrer eigenen Stärke als der Hilfe von Verrätern verdanken. Eine bevorstehende Vereinigung der Kommunisten und Sozialdemokraten hätte eine sichere Mehrheit für die Republik geschaffen, weshalb die Nazis schnell handeln mussten. „Was hiermit geschaffen wäre, das bedeutete eine sichere Mehrheit für die Republik.“
Die neuen Herren und ihre Verbrechen
Nach ihrer Machtübernahme zeigten die Nazis schnell ihr wahres Gesicht. Pogrome und andere Gräueltaten folgten. Die neuen Machthaber waren getrieben von „Haß und Gier“ und arbeiteten nur für ihren eigenen erbärmlichen Ehrgeiz. Sie hassten denkende Menschen mehr als alle anderen. „Sechs hochbezahlte Posten auf einmal und dazu noch stehlen; in Palästen wohnen und das Land, sinn- und zwecklos, ihrem Machtwahnsinn unterwerfen.“
Göring versuchte, sich und die Nationalsozialisten als Retter der westlichen Zivilisation darzustellen, aber Mann entlarvt dies als Lüge. Die Nazis waren keine Retter, sondern die größten Feinde der Zivilisation. „Die westliche Zivilisation, das war in Deutschland die Republik, mag sie auch unzulänglich und schwach gewesen sein.“
Kapitel „Ihr ordinärer Antisemitismus“
Die Ähnlichkeit zwischen Deutschen und Juden
Mann argumentiert, dass die Deutschen das letzte Volk sind, das auf Judenhass ein Recht habe, weil sie den Juden zu ähnlich sind. Goethe sagte einst: „Deutschland ist nichts, jeder Deutsche ist viel“, ein Gedanke, der auch auf Juden zutreffen könnte. Beide Völker halten sich für das auserwählte Volk, eine Überkompensation für ihre innere Unsicherheit. Die jüdische Selbstironie und der deutsche „Minderwertigkeitskomplex“ sind Ausdrucksformen dieser Unsicherheit.
Die Suche nach einem inneren Feind
Nach dem verlorenen Krieg mussten die Deutschen einen inneren Feind finden und richteten ihren Hass auf die Juden, die angeblich nicht assimiliert werden konnten. Mann stellt fest, dass vernünftige Einwände gegen diesen Hass nutzlos sind, da die Nazis das Bedürfnis nach einem Feind für ihre Machtpolitik nutzen.
Antisemitismus als Ausdruck innerer Leere
Der Antisemitismus der Nazis entspringt ihrer völligen Beziehungslosigkeit und Leere. Hitler behauptet, nur reinrassige Volksgenossen könnten große geistige Eroberungen machen, obwohl das Genie Einstein diese These widerlegt. Mann kritisiert die Nazis für ihre Verachtung der deutschen Kultur und der geistigen Schöpfer wie Goethe.
Verfolgung und Verachtung
Die Verfolgung der Juden und die damit einhergehende Propaganda schaden der deutschen Wirtschaft und dem deutschen Namen. Die erzwungenen Lügen und die Pogrome sind eine Schande für Deutschland. Mann schließt mit der Feststellung, dass das Land, für dessen Kultur er gearbeitet hat, von Menschen ohne Wissen und Gewissen erniedrigt wurde und nun der Verachtung ausgeliefert ist. „Das Land, dessen geistiger Besitz auch durch meine ganze Kraft bereichert worden war, es ist von Menschen ohne Wissen und Gewissen erniedrigt, verroht und in einen Zustand versetzt worden, wie keine äußere Niederlage und nicht einmal die Zerstückelung des Staates ihn hervorbringt.“
Rezeption
Der Band wurde nicht nur in Deutschland, sondern auch international beachtet. Der Schriftsteller Lion Feuchtwanger lobte Heinrich Manns Weitsicht und seine Fähigkeit, das Deutschland der letzten Jahrzehnte präzise vorherzusehen und darzustellen. Feuchtwanger schrieb: „Heinrich Mann hat das Deutschland des letzten Jahrzehnts früher und schärfer vorausgesehen als wir alle. Er hat es dargestellt von seinen Anfängen her, lange bevor es Wirklichkeit wurde.“
Aktuelle Pressestimmen
Sein Essay, das ist die größte Leistung, ist ein Buch über den Hass, geschrieben von einem, der nicht zurückhassen wollte, weil Hass entstellt, weil er dumm macht und klein.Hass, schreibt Mann, beleidigt die Intelligenz. Jeder hat Feinde, jeder hat Freunde, aber am Ende sind beides: Menschen. Auch der Hass hat eine Grenze, man hasst »bis hierher und nicht weiter«. Wer die Grenze überschreitet, wo der grimmige Hass umschlägt in einen tödlichen, vernichtenden Hass, wird zum Unmenschen.
Hauke Goos: Wie man klar und deutlich über den Hass schreibt Spiegel.de 24.03.2024
„Die Kampfbegriffe auf Twitter und Telegram speisen sich aus der vehementen Verachtung anderer (…) Man muss nicht die Geister der Vergangenheit beschwören, nicht mit Geschichtsgeometrie die Parallelen von unserem Heute zur Weimarer Republik ziehen. Aber wenn man das Gift sequenziert, das Heinrich Mann in den Reden, den Lügen und Legenden der Nazis fand, dann kann man dessen Grundsubstanz auch in unserer zwischen höchster Erregung und tiefster Niedergeschlagenheit verorteten Gegenwart finden. Die Kampfbegriffe, die auf Twitter und Telegram eingesetzt werden, sie sind zu oft aus dem gleichen Zeug. Der Hass dort speist sich aus der vehementen Ablehnung abweichender Weltanschauungen und aus der Verachtung soziopolitischer Milieus. Wer einmal das erlebt hat, was in der übrigens per se hässlichen Social-Media-Sprache „Shitstorm“ heißt, hat die Gelegenheit, durchs Schlüsselloch in eine Welt aus gefletschten Zähnen und geballten Fäusten zu blicken. (…) Manns Essay, denn man kann und sollte diese Textsammlung als Ganzes lesen, spielt auf vielen Klaviaturen. Er ist Aufklärung, historische Herführung, Polemik und satirische Sittenmalerei.“
(Sueddeutsche Zeitung SZ: „Der Hass“ in Corona-Zeiten: Was wir von Heinrich Mann lernen können, 29. Dezember 2021).
Aus dem Inhalt:
Vor der Katastrophe. Das Bekenntnis zum Übernationalen
I. Ablauf eines Zeitalters
II. Unfall einer Republik
III. Unbeliebte Tatsachen
IV. Das Bekenntnis
Nachher
Auch eine Revolution
Der Haß
Der große Mann
Im Reich der Verkrachten
Göring zittert und schwitzt
Ihr ordinärer Antisemitismus
Wohin es führt
Die enttäuschten Verräter
Die sittliche Erziehung
Der sichere Krieg
Die erniedrigte Intelligenz
Anhang. Szenen aus dem Nazileben
Auf der Straße
Im Konzentrationslager
Die Vermißten
Man muß sich zu helfen wissen
Hitler bei Hindenburg
Der Zeuge
Heinrich Mann.
Der Haß.
Deutsche Zeitgeschichte.
Erstdruck: Querido Verlag, Amsterdam 1933.
Durchgesehener Neusatz, LIWI Verlag, Göttingen.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag
ISBN: 3965424343
Lesen Sie hierzu auch unseren Artikel „Die besten Bücher von Heinrich Mann“
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Die häufigsten Fragen
Wann und warum wurde „Der Haß“ von Heinrich Mann veröffentlicht?
Heinrich Mann veröffentlichte „Der Haß“ im Spätsommer 1933, wenige Monate nach seiner Flucht ins Exil. Der Band erschien zunächst im Pariser Verlag Gallimard und kurz darauf im Querido Verlag in Amsterdam. Die Veröffentlichung erfolgte auf Drängen des französischen Germanisten Félix Bertaux, der Mann dazu ermutigte, das menschenverachtende nationalsozialistische System öffentlich zu demaskieren.
Welche zentralen Themen behandelt Heinrich Mann in „Der Haß“?
Heinrich Mann behandelt in „Der Haß“ die nationalsozialistische Ideologie und Praxis, insbesondere den Hass als zentrale Triebkraft der deutschen Diktatur. Er beschreibt die Bewegung als einen „Aufstand der weniger Gesitteten gegen die Vernunft und ihre Verteidiger“. Der Hass wird als so extrem charakterisiert, dass er selbst nach dem Sieg der Nazis nicht abnimmt.
Wie wurde „Der Haß“ in der zeitgenössischen Presse aufgenommen?
Die gleichgeschaltete deutsche Presse kritisierte „Der Haß“ heftig. Die literarische Welt bezeichnete das Werk als „schmutziges Machwerk“ und verurteilte Heinrich Mann als „einen jener Literaten, die das neue Deutschland verleumden und die anderen Völker gegen uns aufhetzen“.
Was behandelt Heinrich Mann im Kapitel „Der Haß“?
Im Kapitel „Der Haß“ analysiert Mann die Natur und die Auswirkungen des Hasses im Kontext der nationalsozialistischen Bewegung in Deutschland. Er unterscheidet zwischen zwei Klassen von Menschen in dieser Bewegung: die Bestie und den abtrünnigen Zivilisierten. Ein Fallbeispiel ist Joseph Goebbels, der sich durch Hass und Rachsucht auszeichnet.
Zitat: „Er atmete Haß, er verpestete damit die Luft, wohin immer er kam.“
Wie beschreibt Heinrich Mann die Entstehung des Hasses in der Weimarer Republik?
Mann erläutert, dass die Weimarer Republik trotz ihrer Mängel das freieste Regierungssystem war, das Deutschland je gekannt hatte. Der Hass der Nationalsozialisten richtete sich nicht gegen die Schwächen der Republik, sondern gegen ihre Ideale von Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Der Hass führte schließlich zur Zerstörung der Zivilisation und geistigen Kultur Deutschlands.
Was ist der Inhalt des Kapitels „Der große Mann“?
Das Kapitel „Der große Mann“ bietet eine detaillierte Analyse des Aufstiegs des nationalsozialistischen Führers, der von persönlichen Mängeln und einem tief verwurzelten Hass angetrieben wird. Heinrich Mann zeichnet ein Bild eines Führers, der durch Manipulation und Hysterie eine Nation in den Abgrund führt.
Wie beschreibt Heinrich Mann das Kapitel „Im Reich der Verkrachten“?
In diesem Kapitel beschreibt Mann, wie die Hitler-Diktatur von einigen Beobachtern als „berechtigter Ausdruck“ der deutschen Nation betrachtet wird. Er betont, dass eine Minderheit zur Macht gelangt ist, die das Land in einem dauerhaften Bürgerkrieg hält. Die verantwortlichen Individuen, die sich zur Zerstörung der Demokratie zusammengetan hatten, waren Verkrachte, die in ihrem Leben nichts Nützliches erreicht hatten und die Nation vergifteten.
Was behandelt Heinrich Mann im Kapitel „Göring zittert und schwitzt“?
Dieses Kapitel beginnt mit einem außergewöhnlichen Interview, das Hermann Göring der ausländischen Presse gibt. Göring versichert darin, dass er gesund sei, obwohl Berichte aus Schweden von einem Wahnsinnsausbruch und Morphiumabhängigkeit sprechen. Mann beschreibt Görings Versuch, sich als Retter der westlichen Zivilisation darzustellen, und entlarvt dies als Lüge. Er betont, dass die Nazis die größten Feinde der Zivilisation sind.
Was ist die zentrale Aussage des Kapitels „Ihr ordinärer Antisemitismus“?
In diesem Kapitel argumentiert Mann, dass die Deutschen das letzte Volk sind, das auf Judenhass ein Recht hat, weil sie den Juden zu ähnlich sind. Er beschreibt, wie der Antisemitismus der Nazis aus einer inneren Leere und Beziehungslosigkeit entspringt. Der Hass auf Juden ist ein Ausdruck ihrer eigenen Unsicherheit und Verachtung der deutschen Kultur und geistigen Schöpfer.
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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 27. März 2024