Stefan Zweig - Drei Meister. Balzac - Dickens - Dostojewski

Stefan Zweig – Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski

„Obwohl in einem Zeitraum von zehn Jahren entstanden, bindet doch kein Zufall diese drei Versuche über Balzac, Dickens und Dostojewski zu einem Buche zusammen. Einheitliche Absicht versucht die drei großen und in meinem Sinne einzigen Romanschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts als Typen zu zeigen, die eben durch den Kontrast ihrer Persönlichkeiten einander ergänzen und vielleicht den Begriff des epischen Weltbildners, des Romanciers, zu einer deutlichen Form erheben.“

Ein biografisches Meisterwerk: Die Lebensbeschreibung von Balzac, Dickens und Dostojewski im berühmten, romanhaft-lebendigen Stil Stefan Zweigs.

Kurzbiografien der Porträtierten:

Honoré de Balzac (1799–1850)

  • Geburt und Familie: Geboren am 20. Mai 1799 in Tours, Frankreich. Familie war bürgerlich und relativ wohlhabend.
  • Ausbildung: Studierte Rechtswissenschaften in Paris, entschied sich jedoch für eine literarische Karriere.
  • Frühe Werke: Anfangs wenig erfolgreich, schrieb unter verschiedenen Pseudonymen. Erst später fand er seinen literarischen Stil.
  • Die menschliche Komödie: Sein monumentales Werk, eine Serie von über 90 Romanen und Novellen, die das Leben in Frankreich nach dem Sturz Napoleons detailliert darstellen.
  • Wichtige Werke: Vater Goriot, Eugénie Grandet, Verlorene Illusionen, Glanz und Elend der Kurtisanen.
  • Stil und Themen: Realismus, detaillierte Charakterstudien, soziale und wirtschaftliche Verhältnisse, Aufstieg und Fall von Individuen in der Gesellschaft.
  • Persönliches Leben: Hatte finanzielle Schwierigkeiten, viele Liebesaffären. 1850 heiratete er Eveline Hanska, eine polnische Gräfin, kurz vor seinem Tod.
  • Tod: Gestorben am 18. August 1850 in Paris, Frankreich.

Charles Dickens (1812–1870)

  • Geburt und Familie: Geboren am 7. Februar 1812 in Portsmouth, England. Familie hatte finanzielle Probleme.
  • Kindheit und Bildung: Musste im Alter von 12 Jahren in einer Fabrik arbeiten, als sein Vater ins Schuldgefängnis kam. Später kehrte er zur Schule zurück.
  • Berufliche Anfänge: Arbeitete als Gerichtsstenograf und Journalist. Veröffentlichte erste Geschichten und Artikel.
  • Erste Erfolge: Die Pickwickier (1836) brachte ihm großen Erfolg und Anerkennung.
  • Wichtige Werke: Oliver Twist, David Copperfield, Eine Weihnachtsgeschichte, Große Erwartungen, Bleak House.
  • Stil und Themen: Sozialkritik, Darstellung der armen und benachteiligten Gesellschaftsschichten, Humor und starke Charaktere.
  • Persönliches Leben: Heiratete Catherine Hogarth, hatte zehn Kinder. Ehe war unglücklich, lebte später getrennt von seiner Frau.
  • Tod: Gestorben am 9. Juni 1870 in Gad’s Hill Place, England. Begraben in der Westminster Abbey.

Fjodor Dostojewski (1821–1881)

  • Geburt und Familie: Geboren am 11. November 1821 in Moskau, Russland. Familie war adlig, jedoch finanziell bescheiden.
  • Ausbildung: Studierte Ingenieurwesen an der Militärakademie in St. Petersburg, wandte sich jedoch bald der Literatur zu.
  • Frühe Werke: Erstes bedeutendes Werk Arme Leute (1846) brachte ihm sofortigen Erfolg.
  • Politische Aktivitäten: Beteiligte sich an einem revolutionären Zirkel, 1849 verhaftet und zum Tode verurteilt. Strafe wurde in letzter Minute in Zwangsarbeit in Sibirien umgewandelt.
  • Wichtige Werke: Schuld und Sühne, Der Idiot, Die Dämonen, Die Brüder Karamasow.
  • Stil und Themen: Existentialismus, Psychologie, Fragen der Moral und Religion, tiefgehende Charakteranalysen.
  • Persönliches Leben: Heiratete zweimal, hatte zahlreiche gesundheitliche Probleme, einschließlich Epilepsie. Litt unter Spielsucht und finanziellen Schwierigkeiten.
  • Tod: Gestorben am 9. Februar 1881 in St. Petersburg, Russland. Begraben auf dem Tichwiner Friedhof in St. Petersburg.

Vorwort

Obwohl in einem Zeitraum von zehn Jahren entstanden, bindet doch kein Zufall diese drei Versuche über Balzac, Dickens und Dostojewski zu einem Buche zusammen. Einheitliche Absicht versucht die drei großen und in meinem Sinne einzigen Romanschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts als Typen zu zeigen, die eben durch den Kontrast ihrer Persönlichkeiten einander ergänzen und vielleicht den Begriff des epischen Weltbildners, des Romanciers, zu einer deutlichen Form erheben.

Nenne ich Balzac, Dickens und Dostojewski hier die einzigen großen Romanschriftsteller des neunzehnten Jahrhunderts, so verkenne ich in dieser Voranstellung keineswegs die Größe einzelner Werke Goethes, Gottfried Kellers, Stendhals, Flauberts, Tolstois, Victor Hugos und anderer, von denen mancher einzelne Roman oftmals das abgesonderte Werk insbesondere Balzacs und Dickens‘ weitaus übertrifft. Und ich glaube, meinen innerlichen und unerschütterlichen Unterschied zwischen dem Verfasser eines Romanes und dem Romancier darum ausdrücklich feststellen zu müssen. Romanschriftsteller im letzten, im höchsten Sinne ist nur das enzyklopädische Genie, der universale Künstler, der – hier wird Breite des Werkes und Fülle der Figuren zum Argument – einen ganzen Kosmos baut, der eine eigene Welt mit eigenen Typen, eigenen Gravitationsgesetzen und einem eigenen Sternenhimmel neben die irdische stellt. Der jede Figur, jedes Geschehnis so sehr mit seinem Wesen imprägniert, daß sie nicht nur für ihn typisch werden, sondern auch für uns selbst mit jener Eindringlichkeit bildkräftig, die uns dann oft verlockt, Geschehnisse und Personen nach ihnen zu benennen, so daß wir von Menschen im lebendigen Leben etwa sagen: eine balzacsche Figur, eine Dickensgestalt, eine Dostojewskinatur. Jeder dieser Künstler bildet ein Lebensgesetz, eine Lebensauffassung durch die Fülle seiner Gestalten so einheitlich hervor, daß es durch ihn eine neue Form der Welt wird. Und dieses innerste Gesetz, diese Charakterformation in ihrer verborgenen Einheit darzustellen ist der wesentliche Versuch meines Buches, dessen ungeschriebener Untertitel lauten könnte: Psychologie des Romanciers.

Jeder dieser drei Romanschriftsteller hat seine eigene Sphäre. Balzac die Welt der Gesellschaft, Dickens die Welt der Familie, Dostojewski die Welt des Einen und des Alls. Vergleiche dieser Sphären zeigen ihre Unterschiede, niemals aber ist unternommen, diese Unterschiede in Werturteile umzudeuten oder die nationalen Elemente eines Künstlers in Neigung oder Abwehr zu betonen. Jeder große Schöpfer ist eine Einheit, die ihre Grenzen und ihr Gewicht in eigenen Maßen in sich schließt: es gibt nur ein spezifisches Gewicht innerhalb eines Werkes, kein absolutes in der Waagschale der Gerechtigkeit.

Alle drei Aufsätze setzen Kenntnis der Werke voraus: sie wollen keine Einführung sein, sondern Sublimierung, Kondensierung, Extrakt. Sie können darum, weil sie zusammendrängen, nur das persönlich als wesentlich Empfundene zur Erkenntnis bringen; am meisten bedaure ich diese notwendige Unzulänglichkeit bei dem Aufsatz über Dostojewski, dessen unendliches Maß ebensowenig wie das Goethes jemals auch von breitester Formel wird umfaßt werden können.

Gern wäre diesen großen Gestalten eines Franzosen, eines Engländers, eines Russen auch das Bildnis eines repräsentativen deutschen Romanschriftstellers, eines epischen Weltbildners in jenem hohen Sinne, wie ich ihn für das Wort Romancier anspreche, beigefügt worden. Doch ich finde keinen einzigen jenes höchsten Ranges in Gegenwart und Vergangenheit. Und es ist vielleicht der Sinn dieses Buches, ihn für die Zukunft zu fordern und den noch Fernen zu grüßen.

Salzburg 1919

Buch

Stefan Zweig - Drei Meister. Balzac - Dickens - DostojewskiStefan Zweig.
Drei Meister. Balzac – Dickens – Dostojewski.
Drei Biografien in einem Band.
Erstdruck: Insel Verlag, Leipzig 1920.

Neuausgabe, durchgesehener Neusatz, LIWI Verlag, Göttingen 2020.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag

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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 15. Juni 2024