Heinrich Mann: Der Untertan.

Der Untertan

„Das ganze bombastische und doch so kleine Wesen des kaiserlichen Deutschland wird schonungslos in diesem Buch aufgerollt … und vor allem zeigt Heinrich Mann, wonach eben das Buch seinen Namen führt: die Unfreiheit des Deutschen.“

(Kurt Tucholsky)

Der Untertan – Inhaltsangabe

In Heinrich Manns Roman Der Untertan wird die Geschichte von Diederich Heßling erzählt, einem Mann, der die autoritären Strukturen der wilhelminischen Gesellschaft Deutschlands personifiziert. Heßling, ein Opportunist und skrupelloser Karrierist, nutzt jede Gelegenheit, um seine Macht zu festigen und seine Unterwürfigkeit gegenüber höheren Autoritäten zu demonstrieren. Die Erzählung beleuchtet seinen Aufstieg in einer Gesellschaft, die stark von Militarismus und blindem Gehorsam gegenüber dem Kaiser geprägt ist. Heßlings Leben und seine Interaktionen mit anderen Figuren im Roman offenbaren die kritische Sicht Manns auf die Unterdrückung und die repressiven Tendenzen seiner Zeit. Der Roman ist somit nicht nur eine persönliche Geschichte, sondern auch eine scharfe Gesellschaftssatire, die die Gefahren des Nationalismus und Autoritarismus aufzeigt.

Der Untertan – Figurenanalyse

  • Diederich Heßling: Die Hauptfigur, ein autoritätshöriger Bürger mit skrupellosem Machtstreben. Diederich verkörpert das Bedürfnis nach Anerkennung durch Autorität und symbolisiert den opportunistischen Untertanen der wilhelminischen Ära.
  • Agnes Göpel: Diederichs Geliebte, die das traditionelle bürgerliche Frauenbild widerspiegelt und die Unterordnung der Frau im wilhelminischen Deutschland verdeutlicht.
  • Guste Daimchen: Diederichs Ehefrau, die sich ihm gegenüber anpasst und ihn unterstützt. Ihre Figur zeigt, wie sich Frauen unter den gesellschaftlichen Zwängen der damaligen Zeit dem Willen ihrer Männer fügen mussten.
  • Buck Senior: Liberaler Gegenspieler Diederichs, der die autoritäre Untertanenmentalität kritisiert und als Symbol für die politische Opposition gegen das wilhelminische System steht.
  • Wolfgang Buck: Sohn von Buck Senior, ein junger Sozialist, der im Gegensatz zu Diederich für progressive Ideen steht. Er verkörpert den aufkeimenden Widerstand gegen das autoritäre System und die Suche nach einer gerechteren Gesellschaft.
  • Kaiser Wilhelm II.: Symbol für die höchste Macht und Autorität, dem Diederich bedingungslos dient und dessen Gunst er zu gewinnen versucht.

Der Untertan – Zusammenfassung

Diederichs Jugend und Studium (Kapitel 1-2):

  • Diederichs Jugend: Geprägt von strenger Erziehung und dem Wunsch, Anerkennung durch Gehorsam zu erlangen. Diederich wird von seinem Vater stark beeinflusst, was dazu führt, dass er sich gegenüber Autoritäten unterordnet.
  • Studium: An der Universität tritt er einer Verbindung bei, wo er einerseits selbst Erniedrigungen erleidet, aber auch sadistische Freude daran findet, Schwächere zu schikanieren. Diese Erlebnisse stärken seinen autoritären Charakter und formen seine Sicht auf Machtstrukturen.

Heirat und Firmenchef (Kapitel 3-5):

  • Übernahme der Papierfabrik: Nach dem Tod seines Vaters übernimmt Diederich die Leitung der Familienpapierfabrik. Mit seiner Ehefrau Käthe, die er aus sozialen und beruflichen Gründen heiratet, beginnt er ein Leben als Firmenleiter und Familienoberhaupt.
  • Unterwürfigkeit und Günstlingswirtschaft: Innerhalb der Firma etabliert er eine Kultur der Unterwürfigkeit und Günstlingswirtschaft. In der Familie herrscht er tyrannisch über seine Frau Käthe und die Kinder, was sein wachsendes Machtstreben und die Dominanz in seinem Privatleben verdeutlicht.

Errichtung des Kaiserdenkmals (Kapitel 6):

  • Errichtung des Kaiserdenkmals: Diederichs politischer Aufstieg erreicht seinen Höhepunkt mit der Errichtung eines Kaiserdenkmals in der Stadt. Als treuer Anhänger des Kaisers und Verfechter des wilhelminischen Systems nutzt er das Denkmal, um seinen eigenen Einfluss zu festigen.
  • Höhepunkt der autoritären Machenschaften: Dieses Denkmal symbolisiert seine bedingungslose Loyalität gegenüber der autoritären Staatsführung. Es markiert den Höhepunkt seiner Machenschaften und unterstreicht seine Bereitschaft, seinen autoritären Charakter skrupellos auszuleben.

Analyse von Aufbau und Sprache

  • Aufbau: Der Roman ist in einer weitgehend chronologischen Struktur gehalten und enthält gezielt eingesetzte Rückblenden, die die Entwicklung von Diederich Heßling im Detail beleuchten. Durch diese Struktur wird ein klares Bild seiner Wandlung vom schüchternen, autoritätsgläubigen Jungen hin zum rücksichtslosen Karrieristen und Machtmenschen gezeichnet. Die verschiedenen Kapitel spiegeln die zentralen Lebensphasen Diederichs wider, wobei jede Phase neue Aspekte seines Charakters enthüllt und zugleich seine konstante Unterwürfigkeit gegenüber Autorität hervorhebt.
  • Sprache: Heinrich Mann verwendet in seinem Roman eine satirische und oft ironische Sprache, um die Charaktere und ihre Handlungen zu karikieren. Diese Stilmittel ermöglichen eine scharfe Gesellschaftskritik, indem sie die Absurdität des wilhelminischen Systems offenlegen. Die Sprache ist reich an Anspielungen auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit und verleiht dem Roman eine deutliche, teils bissige Note, die den spöttischen Ton durchgehend aufrechterhält.

Der Untertan – Historischer Hintergrund

  • Wilhelminisches Kaiserreich: Der Roman spielt im Kontext des Wilhelminischen Kaiserreichs unter Kaiser Wilhelm II., einer Ära, die durch eine starke Betonung auf Autorität und Imperialismus geprägt war. Die politische Landschaft des Kaiserreichs unterstützte eine hierarchische Gesellschaftsordnung, in der Untertanenmentalität und Gehorsam gegenüber höheren Autoritäten als erstrebenswert galten. Dieser Hintergrund legt die Grundlage für den Charakter Diederich Heßling und seine rücksichtslosen Bestrebungen, sich in einem System sozialer und politischer Unterwerfung hochzuarbeiten.
  • Heinrich Manns Absicht: Mann zielte darauf ab, mit seinem Werk eine kritische Darstellung der politischen und gesellschaftlichen Struktur seiner Zeit zu liefern. Er prangert die Militarisierung, den Imperialismus und die übermäßige Loyalität gegenüber Autorität an. Dabei nutzte er Diederich als Verkörperung der negativen Aspekte der Gesellschaft, indem er dessen Charakterentwicklung als Spiegelbild einer Zeit formte, die stark von nationalistischen und autoritären Tendenzen beeinflusst war.

Der Untertan – Interpretation

  • Gesellschaftssatire: Heinrich Manns Roman ist eine deutliche Kritik an der Gesellschaft des wilhelminischen Deutschlands. Er thematisiert die Autoritätsgläubigkeit, die Menschen wie Diederich Heßling zu skrupellosen Karrieristen werden lässt. Manns Spott richtet sich auch gegen den Militarismus und die strikte hierarchische Ordnung der wilhelminischen Gesellschaft, die blinden Gehorsam gegenüber Autorität als höchste Tugend einfordert.
  • Psychologischer Roman: Der Untertan ist ebenso ein psychologischer Roman, der Diederich Heßlings Charakterentwicklung nachzeichnet. Sein Lebensweg und seine Handlungen symbolisieren die Entstehung und Verfestigung der wilhelminischen Mentalität, die von Unterwürfigkeit, Überheblichkeit und dem Streben nach Macht geprägt ist. Diederich ist ein Spiegelbild der damaligen Zeit, eine Verkörperung des wilhelminischen Untertanen.

Entstehungs- und Veröffentlichungsgeschichte

Heinrich Mann begann die Arbeit an Der Untertan Ende 1911, nachdem erste Notizen bereits 1906/07 entstanden waren. Das Manuskript wurde kurz vor dem Ersten Weltkrieg im Juli 1914 abgeschlossen. Während der Entstehung wurden Teile des Romans in der Zeitschrift Simplicissimus unter Titeln wie Lebensfrühling und Die Neuteutonen veröffentlicht. Ab Januar 1914 erschien der Roman in Fortsetzungen in der Zeitschrift Zeit im Bild, wurde aber bei Kriegsbeginn abgebrochen.

Die vollständige Buchausgabe erschien erst im Dezember 1918 beim Kurt Wolff Verlag in Leipzig, gestaltet von Emil Preetorius. Sie enthielt den Hinweis, dass der Roman bereits im Juli 1914 abgeschlossen wurde. Der Roman wurde dann in die Reihe Der Neue Roman aufgenommen, wobei die Umschlaggestaltung auf Manns frühe Erkenntnisse zur wilhelminischen Ära hinwies: „Heinrich Mann / Der Untertan / Das Deutschland Wilhelms II.“

Heinrich Mann nutzte als Quelle intensiv Wilhelm Schröders Das persönliche Regiment. Reden und sonstige öffentliche Äußerungen Wilhelms II.. Aus Schröders Werk stammen viele direkte Zitate und historische Details, insbesondere für die Reden von Diederich Heßling, wie seine Ansprache an die Arbeiter, seine Zeugenaussage im Majestätsbeleidigungsprozess und die Festrede zur Enthüllung des Netziger Denkmals für Kaiser Wilhelm I. Diese Entlehnungen wurden später literaturwissenschaftlich belegt.

Rezeption und Verfilmung

Rezeption: Der Roman Der Untertan wurde von zeitgenössischen Kritikern und Schriftstellern unterschiedlich aufgenommen. Während Thomas Mann seinem Bruder Heinrich „internationale Verleumdung“ und „nationale Ehrabschneiderei“ vorwarf, lobte Kurt Tucholsky das Werk als „Herbarium des deutschen Mannes“, das erstaunlich genau die Parallelen zu Wilhelm II. zeige.

Tucholsky betonte die Genauigkeit der Darstellung, die er als „bescheidene Fotografie“ der deutschen Gesellschaft bezeichnete, und widerlegte Kritiken, die das Werk als übertriebene Satire abtaten. In den 1980er Jahren wurde das Buch erneut diskutiert, wobei Historiker wie Hans-Ulrich Wehler die präzise Darstellung des akademischen Bürgertums hervorhoben, das einen radikalen, antidemokratischen Nationalismus förderte.

Film: Die bekannteste Verfilmung erfolgte 1951 durch Wolfgang Staudte, wobei Werner Peters die Hauptrolle spielte. Der Film erhielt in der DDR den Nationalpreis und war in der Bundesrepublik zunächst wegen seiner kritischen Darstellung verboten, wurde aber 1957 in gekürzter Form freigegeben und später in voller Länge ausgestrahlt.

Ausschnitt:

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Hörbuch:

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Über den Autor

heinrich-mannHeinrich Manns Leben und Werk: Heinrich Mann, ein bedeutender Schriftsteller des frühen 20. Jahrhunderts, setzte sich leidenschaftlich für Demokratie und soziale Gerechtigkeit ein. Seine Werke spiegeln seine kritische Haltung gegenüber der politischen und gesellschaftlichen Landschaft seiner Zeit wider. Als Gegner des Nationalsozialismus emigrierte er 1933 ins Exil, zunächst nach Frankreich und später in die USA. Dort blieb er bis zu seinem Tod 1950 aktiv in seinem Schreiben und politischem Engagement.

„Der Untertan“ im Gesamtwerk: Der satirische Roman Der Untertan ist ein Höhepunkt seines Schaffens und ein zentraler Teil seines Engagements gegen Militarismus und Autoritarismus. Er kritisiert die gefährlichen Tendenzen der wilhelminischen Gesellschaft und legt die Grundlagen frei, die zur Entstehung totalitärer Regime führten. Manns geschickte Verwendung von Satire und Ironie zeigt seine tiefgreifende Kritik an der Untertanenmentalität und dem bedingungslosen Gehorsam.

Weitere wichtige Werke von Heinrich Mann:

  1. Professor Unrat (1905): Eine scharfe Satire auf das wilhelminische Bildungsbürgertum, die später als Vorlage für den Film Der blaue Engel diente.
  2. Die Göttinnen oder Die drei Romane der Herzogin von Assy (1903): Ein satirischer Gesellschaftsroman, der das dekadente Leben des europäischen Adels kritisiert.
  3. Die kleine Stadt (1909): Eine Novelle, in der Mann eine Kleinstadt als Mikrokosmos gesellschaftlicher Missstände darstellt.
  4. Der Kopf (1925): Der erste Band der Kaiserreich-Trilogie, ein Roman, der politische Intrigen und die Rolle der Intellektuellen im wilhelminischen Reich untersucht.
  5. Die Jugend des Königs Henri Quatre (1935): Der erste Band einer historischen Biografie über den französischen König Heinrich IV., die Manns Abneigung gegen Despotismus und Tyrannei widerspiegelt.
  6. Die Vollendung des Königs Henri Quatre (1938): Der zweite Teil des Henri-Quatre-Romans, der den Lebensweg Heinrichs IV. bis zu seinem tragischen Tod schildert. Mann zeigt Heinrich als visionären Herrscher, der das Wohl des Volkes über seine eigenen Interessen stellt.

FAQ

  1. Worum geht es in Der Untertan?

    • Der Roman erzählt die Geschichte von Diederich Heßling, einem Mann, der die autoritären Strukturen des wilhelminischen Deutschlands personifiziert. Er ist ein skrupelloser Karrierist, der sich opportunistisch an die mächtigen Autoritäten seiner Zeit anlehnt und gleichzeitig diejenigen unterdrückt, die schwächer sind als er.
  2. Welche zentrale Botschaft vermittelt der Roman?

    • Der Untertan ist eine scharfe Gesellschaftssatire, die die Gefahren von Nationalismus, Militarismus und blinder Unterwürfigkeit gegenüber Autorität aufzeigt. Heinrich Mann kritisiert die wilhelminische Gesellschaft und deren autoritäre Tendenzen.
  3. Welche Rolle spielt Diederich Heßling im Roman?

    • Diederich ist die Hauptfigur und verkörpert den gehorsamen, autoritätshörigen Bürger, der skrupellos seine Karriere vorantreibt. Er spiegelt die wilhelminische Mentalität wider, indem er sich über Machtstrukturen profiliert und autoritäre Werte bedingungslos akzeptiert.
  4. Welche weiteren Figuren sind wichtig?

    • Agnes Göpel: Diederichs Geliebte, die das bürgerliche Frauenbild widerspiegelt.
    • Guste Daimchen: Diederichs Ehefrau, die ihm gegenüber fügsam ist.
    • Buck Senior: Ein liberaler Gegner, der die Untertanenmentalität kritisiert.
    • Wolfgang Buck: Ein junger Sozialist, der progressive Ideen vertritt.
    • Kaiser Wilhelm II.: Symbolisiert die höchste Autorität, der Diederich blind folgt.
  5. Wie ist der Roman aufgebaut?

    • Die Geschichte ist chronologisch mit Rückblenden gestaltet. Sie verfolgt Diederichs Lebensphasen, vom autoritätshörigen Jungen bis hin zum tyrannischen Firmenchef. Diese Struktur offenbart seine Entwicklung und die Konstanz seiner Unterwürfigkeit.
  6. Welche Sprache verwendet Heinrich Mann im Roman?

    • Heinrich Mann bedient sich einer satirischen und ironischen Sprache. Mit Anspielungen auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit legt er den absurden Charakter des wilhelminischen Systems offen.
  7. Welcher historische Kontext prägt den Roman?

    • Der Untertan spielt im wilhelminischen Kaiserreich, das durch Militarismus und Imperialismus gekennzeichnet war. Die hierarchische Gesellschaftsordnung legte großen Wert auf Gehorsam und Unterwürfigkeit, was die Grundlage für Diederichs Charakterbildung ist.
  8. Wie ordnet sich Der Untertan in Heinrich Manns Gesamtwerk ein?

    • Der Roman ist ein zentraler Bestandteil von Manns Werk, das sich gegen Militarismus und Autoritarismus richtet. Er nutzt Satire und Ironie, um die gefährlichen Tendenzen der wilhelminischen Gesellschaft zu entlarven und die bedingungslose Gefolgschaft zu kritisieren

Buch

Heinrich Mann.
Der Untertan.
Roman.
Erstdruck: Kurt Wolff Verlag, Leipzig 1918.
Durchgesehener Neusatz, der Text dieser Ausgabe folgt: Reclam Verlag, Leipzig 1919.
Vollständige Neuausgabe, LIWI Verlag, Göttingen 2021.

EAN: 9783965424234
ISBN: 3965424238
Paperback.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag
Mai 2021 – 292 Seiten

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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 10. Mai 2024