Die Welt von Gestern - Stefan Zweig

Aus dem Leben eines Taugenichts

„Wohin wandert Er denn schon so am frühen Morgen?“ Da schämte ich mich, daß ich das selber nicht wußte, und sagte dreist: „Nach Wien“; nun sprachen beide miteinander … . Die jüngere schüttelte einige Male mit dem Kopfe, die andere … rief mir endlich zu: „Spring Er nur hinten mit auf, wir fahren auch nach Wien.“ … Ich … war mit einem Sprunge hinter dem Wagen, der Kutscher knallte, und wir flogen über die glänzende Straße fort … .“

Wandernde Lebenskünstler, die freiheitsliebend und abenteuerlustig die Welt durchstreifen, immer optimistisch auf der Suche nach dem idealen Leben: Eichendorff gelingt mit dieser Novelle die Verschmelzung von Poesie und Leben.

Der Höhepunkt der Spätromantik

Der „Taugenichts“ wurde zwischen 1822 und 1823 fertiggestellt und erstmals 1826 veröffentlicht. Das Werk wird häufig als Höhepunkt der deutschen Spätromantik angesehen.

Eichendorff ist bekannt dafür, in seinen Werken eine offene Erzählform zu verwenden. In „Aus dem Leben eines Taugenichts“ verbindet er die epische Erzählung mit lyrischen Elementen, indem er zahlreiche Gedichte und Lieder integriert.

Ein bekanntes Beispiel hierfür ist das Lied „Der frohe Wandersmann“ (Wem Gott will rechte Gunst erweisen). Diese Kombination aus epischen und lyrischen Elementen verleiht dem Text seine charakteristische romantische Qualität.

Zusammenfassung

Die Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph von Eichendorff erzählt die Geschichte eines Müllersohns, den sein Vater als Taugenichts bezeichnet und aus dem Haus schickt. Mit seiner Geige zieht der Sohn fröhlich in die Welt hinaus. Unterwegs trifft er auf eine Kutsche mit zwei Damen, die ihn aufgrund seiner musikalischen Fähigkeiten mit auf ihr Schloss in der Nähe von Wien nehmen.

Dort wird er zunächst als Gärtnerbursche und später als Zolleinnehmer eingestellt. Er verliebt sich in die jüngere der beiden Damen und beginnt, ihr heimlich Blumen zu hinterlassen. Als er die Geliebte jedoch mit einem Offizier sieht, verlässt er enttäuscht das Schloss.

Der Taugenichts reist weiter in Richtung Italien und erlebt unterwegs verschiedene Abenteuer. In einem Wirtshaus lehnt er das Angebot ab, als Berufsmusiker zu arbeiten, und trifft stattdessen auf zwei Maler, Leonhard und Guido. Mit ihnen reist er weiter, wird jedoch bald allein gelassen. In einem Schloss wird er gastfreundlich aufgenommen und führt dort ein sorgloses Leben, bis ein Brief von seiner Angebeteten ihn zurückruft.

In Rom sucht er vergeblich nach der Geliebten und trifft auf einen Maler, der ihm von einem geheimnisvollen Treffen erzählt. Der Taugenichts eilt dorthin, findet aber nur eine fremde Frau. Enttäuscht beginnt er die Heimreise, trifft aber unterwegs auf drei Studenten, die ihm von einem Schloss in der Nähe von Wien erzählen. Dort angekommen, entdeckt er die Wahrheit über die Personen aus seiner Vergangenheit. Der Graf des Schlosses, Leonhard, und seine Geliebte, Flora, klären die Verwechslungen auf.

Schließlich stellt sich heraus, dass die geliebte Aurelie kein Adel ist, sondern ein Waisenkind. Der Taugenichts und Aurelie heiraten und erhalten als Geschenk ein kleines Schlösschen. Die Novelle endet mit dem glücklichen Ausgang für den ehemaligen Taugenichts, der nun in der Welt des Adels angekommen ist. Die Geschichte ist ein typisches Beispiel für die weltfremde Romantik dieser Epoche.

Interpretation 

In der Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ von Joseph von Eichendorff lassen sich die Charaktere in zwei Gruppen einteilen: einerseits die Romantiker und (Lebens-)Künstler, die das Leben optimistisch und abenteuerlustig angehen und nach Individualität und Freiheit streben.

Sie distanzieren sich von den Konventionen der arbeitenden bürgerlichen Gesellschaft. Diese Gruppe umfasst alle musikalischen Figuren, einschließlich des singenden und Geige spielenden Taugenichts, dem schönen Fräulein mit der Gitarre, dem Hirten mit seiner Schalmei, dem als Kunstmaler verkleideten Liebespaar und den musizierenden Studenten.

Andererseits gibt es die Philister, die ein bodenständiges und pedantisches Leben führen und den lebenslustigen Charakteren moralisierend gegenüberstehen. Zu ihnen gehören der Gärtner, der Portier, der Bauer und der neue Zolleinnehmer, sowie vor allem der Vater des Taugenichts.

Eichendorff versucht in seiner Novelle, Poesie und Leben zu versöhnen, indem er beide Aspekte entschärft: Die Realität erscheint leicht und idyllisch, während die Romantik auf die Unbewusstheit des naiven Protagonisten reduziert wird, der das Leben eher passiv erlebt.

Diese passive Haltung des Taugenichts steht im Kontrast zu Goethes bewusster Wahrnehmung in seiner „Italienischen Reise“. Der Portier wird zur Personifikation des Versuchs, Poesie und Alltag zu vereinen.

Der Taugenichts selbst wird als arglos, offen und gutmütig dargestellt. Er hinterlässt bei anderen meist einen harmlosen Eindruck. Seine Ausbildung beschränkt sich auf das Geigenspiel, was seine Stelle als Zolleinnehmer mehr seinem Charme als seinen Fähigkeiten verdankt. Seine Liebe zur Natur spiegelt seine seelische Verfassung wider, besonders das Rauschen der Wälder, der Gesang der Vögel und die Stille der Nacht begleiten ihn auf seinen Wanderungen.

Erzählperspektive

In Joseph von Eichendorffs Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ wird das Geschehen aus der Ich-Perspektive eines autodiegetischen Erzählers geschildert. Dieser Erzähler ist ein aktiver Teil der erzählten Welt und erlebt die Ereignisse direkt mit. Durch diese subjektive Erzählweise entsteht für den Leser eine enge Verbundenheit mit dem erzählenden Ich.

Eichendorff belebt die epische Form der Novelle mit lyrischen Elementen, indem er Gedichte als Lieder in den Text einfügt. Die Novelle nimmt dadurch auch märchenhafte Züge an, was sich in der einfachen und naiven Sprache des Taugenichts, in den zahlreichen glücklichen Wendungen seines Schicksals und in der Darstellung romantischer Landschaften mit Schlössern, Gärten und Wäldern widerspiegelt.

Wandermotiv

Die Wanderlust des Taugenichts hat sowohl äußere als auch innere Gründe. Äußerlich wird er von seinem Vater in die Welt geschickt, um „etwas Rechtes zu lernen“. Innerlich treibt ihn die Sehnsucht, in der weiten Welt sein Glück zu suchen. Der Taugenichts ist ständig unterwegs, getrieben von seiner Lust auf Reisen und dem Drang, neue Orte zu entdecken.

Durch dieses unentwegte Wandern entzieht er sich der bürgerlichen Realität und flieht vor den konventionellen bürgerlichen Pflichten. Selbst als er am Ende der Novelle mit Aurelie ein gesichertes Leben zu führen scheint, bleibt seine Sehnsucht nach neuen Abenteuern bestehen und es zieht ihn wieder fort, diesmal nach Rom.

Film und Literatur

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Die Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ hat sowohl in der Filmbranche als auch in der Literatur deutliche Spuren hinterlassen:

  • 1973: Eine Verfilmung von der DEFA, inszeniert von Celino Bleiweiß mit Dean Reed in der Hauptrolle des Taugenichts. Diese Adaption weicht jedoch vom Original ab, beispielsweise durch das Weglassen der Rom-Episode, was vermutlich geschah, um die Reisesehnsucht der DDR-Bewohner nicht zu wecken. Stattdessen wurde eine Begegnung des Taugenichts mit dem Räuberhauptmann Rinaldo Rinaldini eingefügt.
  • 1978: Eine weitere Verfilmung, die sich enger an Eichendorffs Novelle orientiert, wurde von Bernhard Sinkel realisiert, mit Jacques Breuer in der Titelrolle und Musik von Hans Werner Henze. Diese Fassung wurde im ZDF ausgestrahlt und erhielt den Bundesfilmpreis (Filmband in Silber).
  • In der Literatur findet sich das Gedicht „Der Taugenichts“ des schweizerischen Schriftstellers Gottfried Keller, das sich thematisch am Protagonisten von Eichendorffs Novelle orientiert.
  • Der Schriftsteller und Kulturwissenschaftler Norbert W. Schlinkert veröffentlichte 2020 den erzählenden Essay „Tauge/Nichts“ in der edition taberna kritika. Darin setzt er sich erzählerisch und wissenschaftlich mit der Entstehung eines realen Taugenichts in der modernen Welt und seinen literarischen Wurzeln auseinander.

Joseph Von Eichendorff - Aus dem Leben eines TaugenichtsJoseph von Eichendorff.
Aus dem Leben eines Taugenichts.
Erstdruck: Vereinsbuchhandlung, Berlin 1826.
Dritte Auflage der vollständigen Neuausgabe, Göttingen 2018.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag

ISBN: 396542081X
EAN: 9783965420816
Paperback. 68 Seiten

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