
Das einfache Leben
»Das Letzte (..) was man im Leben gewinnen kann, ist, nichts haben zu wollen.« Und nach einer Weile setzte er hinzu: »Auch in der Liebe…«
Sie saß ganz regungslos, und Thomas glaubte zu sehen, wie das Wort in sie hineinfiel, tiefer und tiefer, wie in einen Brunnen, auf dessen Grund die Dämmerung ist, und ein goldener Schein des Tages hoch oben.
(Zitat S. 44 in diesem Buch)
Zurückgekehrt aus dem Ersten Weltkrieg findet sich Korvettenkapitän Thomas im normalen Leben nicht mehr zurecht. Er verlässt seine lebenslustige Frau Gloria und seinen Sohn, um fortan im Einklang mit der Natur zu leben.
Es ist das „einfache Leben“ eines Fischers an den masurischen Seen, welches allen Entsagungen zum Trotz, auch in der Liebe, den höchsten Gewinn für ihn darstellt.
Das virtuos geschriebene „einfache Leben“ faszinierte Leserinnen und Leser damals wie heute, es zählt immer noch zu Wiecherts meistgelesenen Werken. Hier liegt das 1939 erstmals erschienene Werk in einer Taschenbuch-Neuausgabe vor.
Ernst Wiechert.
Das einfache Leben.
Roman.
Erstdruck: Verlag Albert Langen und Georg Müller, München 1939.
Durchgesehener Neusatz, der Text dieser Ausgabe folgt dem Erstdruck.
Vollständige Neuausgabe, LIWI Verlag, Göttingen 2022.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag
EAN: 9783965425453
ISBN: 3965425455
Paperback.
2022 – 244 Seiten
Leseprobe aus Kapitel 2 des Romans:
Indes er fast geräuschlos dahinglitt, von einem sanften seitlichen Winde je nach der Biegung der Straße gehindert oder getrieben, versuchte er zu ergründen, weshalb sein Atem leicht zu gehen schien in dieser Landschaft, obwohl sie doch im ersten Anschauen streng, weit und nicht ohne Düsterkeit sich ihm darbot. Er bemerkte, daß die Luft rauher ging, daß Wachstum und Feldbestellung gegen seine Heimat weit zurückgeblieben waren, daß Häuser und Dörfer ärmlicher, fast liebloser in den umgebenden Raum gebettet waren. Doch schienen wiederum Straßen und Pfade menschenleerer, alles Gerät einfacher und verbrauchter, ja auch alle Ansprüche bescheidener, als ob die Erde noch unbedingter hier herrsche, den Forderungen des Menschen noch widerwilliger verschlossen als in anderen Bezirken des Reiches, und als ob der Mensch hier mehr auf eigener Kraft und im eignen Inneren beruhen müsse, ohne die gedankenlose Unterstützung der Masse, die ihm woanders, zumal in den Städten, so leicht und so verhängnisvoll zufalle.
Doch schien ihm vor allem der Himmel über alle Maßen groß und gewaltig. Geschwader von Wolken zogen ruhevoll an seiner Wölbung entlang, aber selbst sie mühelos geordnet in dem unermeßlichen Raum, und ihre schweren Schatten stießen sich nirgends auf den noch bräunlichen Feldern. Auf den Hügeln der Äcker standen einzelne Bäume, das Astwerk ohne Hindernis ausgebreitet oder von immer wehenden Winden nach einer Seite gebeugt, und da sie fast alle ohne Hintergrund vor dem leeren Himmelsraum standen, so trugen die Felder in aller Kargheit ein Gesicht des Stolzes, als lägen sie noch da wie zu Beginn der Schöpfung und niemals sei anderes als Wind oder Regen oder eine kühle Sonne über sie hingegangen.