Heinrich von Ofterdingen
„Was ihn aber mit voller Macht anzog, war eine hohe lichtblaue Blume, die zunächst an der Quelle stand, und ihn mit ihren breiten, glänzenden Blättern berührte. Rund um sie her standen unzählige Blumen von allen Farben, und der köstliche Geruch erfüllte die Luft. Er sah nichts als die blaue Blume, und betrachtete sie lange mit unnennbarer Zärtlichkeit.“
(Zitat S. 7 in diesem Buch)
Heinrich von Ofterdingen – Übersicht: Das Wichtigste in Kürze
- Autor: Novalis (Friedrich von Hardenberg)
- Gattung: Roman (Fragment)
- Veröffentlichung: Posthum 1802
- Epoche: Frühromantik
- Wichtige Figuren: Heinrich von Ofterdingen, seine Mutter, der Fremde, Mathilde, Klingsohr, Cyane
- Inhalt in einem Satz: „Heinrich von Ofterdingen“ ist ein Bildungsroman, der die spirituelle und poetische Entwicklung eines jungen Dichters auf seiner Suche nach der mystischen blauen Blume darstellt.
Heinrich von Ofterdingen – Zusammenfassung
Der Traum von der blauen Blume
Der Roman „Heinrich von Ofterdingen“ beginnt mit einem Traum des jungen Protagonisten Heinrich, in dem er eine geheimnisvolle blaue Blume sieht, die im Mittelpunkt eines dunklen, unbekannten Raums blüht. Die Blume schaut ihn mit zarter Aufmerksamkeit an, was in Heinrich eine tiefe Sehnsucht und ein Gefühl von Liebe weckt. Dieser Traum prägt seine Wahrnehmung und sein Verlangen, die Bedeutung der Blume und damit seiner eigenen Bestimmung als Dichter zu verstehen.
Die Abreise aus Eisenach
Nach dem Erwachen aus seinem Traum beginnt Heinrichs tatsächliche Reise. Er verlässt seine Heimatstadt Eisenach, um seine Großmutter in Augsburg zu besuchen. Seine Mutter, die seine Neigung zur Poesie und seine empfindsame Natur kennt, erzählt ihm von seinem Vater, der ebenfalls auf Reisen war und nie zurückkehrte. Dies verstärkt Heinrichs Wunsch, die Welt zu erkunden und die Bedeutung der Blume zu entdecken.
Begegnungen auf der Reise
Auf seiner Reise nach Augsburg trifft Heinrich auf verschiedene Menschen, die seine Ansichten über die Welt und die Kunst prägen. Unter ihnen ist ein Merkantilist, der Heinrich mit seiner Weltanschauung konfrontiert, die stark von ökonomischen Interessen geprägt ist. Diese Begegnung lässt Heinrich die Begrenzungen einer rein materialistischen Weltanschauung erkennen und stärkt seine Überzeugung von der Notwendigkeit einer tieferen, poetischen Lebenssicht.
Ankunft und Begegnung mit Klingsohr
In Augsburg angekommen, trifft Heinrich den Dichter Klingsohr, der zu seinem Mentor wird. Klingsohr eröffnet ihm eine Welt der Poesie, Philosophie und tiefen Weisheit. Klingsohr’s Tochter, Mathilde, wird zur Verkörperung der poetischen und mystischen Liebe für Heinrich. Ihre Beziehung vertieft sich schnell, und durch sie erfährt Heinrich eine neue, intensivere Art der Liebe und Poesie.
Das poetische Turnier und Klingsohrs Märchen
Ein Höhepunkt des Romans ist das poetische Turnier, bei dem Heinrich und andere Dichter ihre Werke vortragen. Dieses Turnier repräsentiert die Auseinandersetzung verschiedener künstlerischer und philosophischer Ideen. Klingsohr erzählt ein tiefgründiges Märchen, das die Schöpfungsgeschichte einer magischen Welt beschreibt, in der die Liebe als rettende und schöpferische Kraft dargestellt wird. Das Märchen symbolisiert die transformative Macht der Poesie und dient als metaphysisches Modell für Heinrichs eigene künstlerische und persönliche Entwicklung.
Vorbereitung auf die Zukunft
Der Roman endet mit der Vorbereitung Heinrichs auf seine weitere Reise, die ihn noch tiefer in das Herz der Poesie und zu einer endgültigen Verschmelzung mit der blauen Blume führen soll. Obwohl der zweite Teil des Romans unvollendet blieb, deutet der vorhandene Text darauf hin, dass Heinrichs Reise eine fortlaufende Suche nach spiritueller und poetischer Erleuchtung ist, die ihn letztlich zur wahren Essenz seines Daseins als Dichter führen wird.
Heinrich von Ofterdingen – Figuren
Heinrich von Ofterdingen
Heinrich ist der Protagonist des Romans und verkörpert das Idealbild des romantischen Dichters. Er ist ein junger, sensibler und träumerischer Charakter, dessen Leben durch den Traum von der blauen Blume tiefgreifend beeinflusst wird. Diese Blume symbolisiert seine Sehnsucht nach poetischer Inspiration und tieferem Verständnis der Welt. Heinrichs Reise ist sowohl eine physische als auch eine spirituelle Suche nach Erkenntnis, in deren Verlauf er sich vom naiven Jüngling zum poetisch Erleuchteten entwickelt.
Die Mutter
Heinrichs Mutter ist eine fürsorgliche und verständnisvolle Figur, die Heinrichs künstlerische Neigungen von Anfang an unterstützt. Sie dient als Bindeglied zwischen Heinrich und der realen Welt und repräsentiert die warmherzige, schützende Liebe, die Heinrich auf seiner Reise begleitet. Ihre Erzählungen über seinen Vater, der ebenfalls ein Reisender war, erwecken in Heinrich das Verlangen, die Welt zu erkunden und die eigene Bestimmung zu finden.
Der Fremde
Eine geheimnisvolle und prägende Figur in Heinrichs Leben ist der Fremde, der ihm auf seiner Reise begegnet. Der Fremde fungiert als spiritueller Führer und Mentor, der Heinrichs Verständnis von Poesie und Philosophie erweitert. Er repräsentiert das romantische Ideal des Weisen, der die verborgenen Wahrheiten der Welt kennt und diese in rätselhaften Gesprächen weitergibt.
Mathilde
Mathilde, die Tochter von Klingsohr, wird zur großen Liebe Heinrichs und verkörpert die ideale Muse des romantischen Dichters. Sie ist nicht nur eine Quelle der Inspiration, sondern auch eine aktive Teilnehmerin an den philosophischen und poetischen Dialogen des Romans. Ihre Beziehung zu Heinrich ist tief und symbolisch, geprägt von einer fast mystischen Verbindung, die über die bloße romantische Liebe hinausgeht.
Klingsohr
Klingsohr ist ein erfahrener Dichter und Philosoph, der als Heinrichs Mentor fungiert. Er ist eine Schlüsselfigur im Roman, die Heinrich in die Geheimnisse und Tiefen der Poesie einführt. Klingsohr repräsentiert das Ideal des romantischen Dichters, der nicht nur durch Worte, sondern auch durch seine Weisheit und sein tiefes Verständnis der Welt beeindruckt. Sein Einfluss auf Heinrich ist entscheidend für dessen Entwicklung und Verständnis seiner eigenen Rolle als Dichter.
Cyane
Cyane ist eine Nebenfigur, die weitere romantische und mystische Elemente in die Geschichte bringt. Sie ist mit Klingsohr verbunden und dient als weiteres Beispiel für die weibliche Inspiration in der romantischen Literatur. Ihre Rolle, obwohl weniger zentral als die von Mathilde, trägt dennoch zur reichen, symbolischen Textur des Romans bei.
Die „Blaue Blume“
Die berühmte „Blaue Blume“ war ein zentrales Symbol der Romantik und ist bis heute ein bleibendes Motiv in der abendländischen Kunst und Literatur. Sie steht für Sehnsucht, Liebe und das Streben nach dem Unendlichen und Unerreichbaren. Sie symbolisiert die Hoffnung und die Schönheit der Dinge. Der deutsche Schriftsteller Novalis führte das Symbol mit „Heinrich von Ofterdingen“ in die Romantik ein: Nachdem der junge Heinrich über ein Treffen mit einem Fremden nachgedacht hat, träumt er von einer blauen Blume, die seine Aufmerksamkeit vollständig auf sich zieht. Für Thomas Carlyle ist diese blaue Blume die Poesie, das wirkliche Objekt, die Leidenschaft und die Berufung des jungen Heinrich, die er durch mannigfaltige Abenteuer, Anstrengungen und Leiden suchen und finden soll.
Rezeption
Das Motiv inspirierte seitdem zahlreiche Schriftsteller: Joseph Freiherr von Eichendorff schrieb sein berühmtes Gedicht mit dem Titel „Die blaue Blume“, Adelbert von Chamisso sah in dem Motiv den Kern der Romantik, und E. T. A. Hoffmann verwendete sie als Symbol für die Poesie von Novalis und das „heilige Wunder der Natur“ in seiner Erzählung „Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza“.
Aber auch moderne Fantasy-Autoren wurden von diesem Symbol beeinflusst. C. S. Lewis bezieht sich in seinem autobiografischen Buch „Surprised by Joy“ auf die „Blaue Blume“, wenn er von den Sehnsuchtsgefühlen spricht, die die Schönheit in ihm als sechsjährigem Kind auslöste. Und George R. R. Martin verwendet die blaue Blume in „Game of Thrones“ als wiederkehrendes Symbol, um junge Frauen aus dem Adelshaus Stark zu charakterisieren.
Der Begriff hielt zudem in verschiedenen Sprachen Einzug, so gibt es heutzutage etwa den französischen Ausdruck „fleur bleue“, welcher eine empfindsame Träumerin und Anfängerin beschreibt.
Heinrich von Ofterdingen – Epoche
„Heinrich von Ofterdingen“ gehört zur Epoche der Romantik, die sich vom späten 18. bis ins frühe 19. Jahrhundert erstreckte. Die Romantik ist geprägt von einer Hinwendung zur Natur, Mystik, Gefühlen und subjektiven Erfahrungen, die im Gegensatz zur rationalen und vernunftbetonten Aufklärung stehen. Diese Epoche legt großen Wert auf die poetische Erneuerung, das Übersinnliche und das Streben nach einem tieferen Verständnis der Welt und des eigenen Ichs.
Zentrale Themen der Romantik, die auch in „Heinrich von Ofterdingen“ auftauchen, sind die Sehnsucht, symbolisiert durch die blaue Blume, sowie die Idee des Wanderns als äußere und innere Reise. Heinrichs Reise spiegelt die typische romantische Suche nach der eigenen Identität und der Verbindung zur Natur wider, die oft mit einem Gefühl von Unendlichkeit und Transzendenz verbunden ist. Auch das Motiv der Liebe, sowohl in spiritueller als auch in romantischer Form, spielt in der Romantik eine zentrale Rolle, wie es sich in Heinrichs Beziehung zu Mathilde zeigt.
Darüber hinaus stellt „Heinrich von Ofterdingen“ eine Auseinandersetzung mit den poetischen Idealen der Frühromantik dar, zu deren wichtigsten Vertretern Novalis gehörte. Die Frühromantiker sahen in der Poesie ein Mittel zur Erfassung höherer Wahrheiten, das über die Grenzen des Verstandes hinausgeht. Novalis‘ Werk steht in diesem Sinne exemplarisch für die Idee der „Universalpoesie“, bei der Dichtung als allumfassende, schöpferische Kraft verstanden wird, die die Bereiche des Wissens, der Kunst und des Lebens miteinander verbindet.
Der Roman ist auch eine Reaktion auf die gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit, darunter die Auswirkungen der Industrialisierung und die Entfremdung des Menschen von der Natur und der Spiritualität. Novalis nutzt die Figur Heinrichs, um die romantische Überzeugung darzustellen, dass wahre Erkenntnis nicht durch wissenschaftlichen Fortschritt, sondern durch Poesie und innere Erleuchtung erlangt wird.
Über den Autor Novalis
Novalis wurde am 2. Mai 1772 geboren und starb am 25. März 1801. „Heinrich von Ofterdingen“ entstand im Jahr 1800 und konnte von ihm nicht mehr vollendet werden, erst nach seinem Tod wurde das Fragment veröffentlicht.
Aus Anlass des Novalis-Jubiläums (250. Geburtstag des Dichters am 2. Mai 2022) liegt die 1802 erschienene Fassung (inklusive des Berichts von Ludwig Tieck über die Fortsetzung) hier in einer Taschenbuch-Neuausgabe vor.
Heinrich von Ofterdingen – Häufige Fragen
Was ist „Heinrich von Ofterdingen“?
„Heinrich von Ofterdingen“ ist ein unvollendeter Roman von Novalis (Friedrich von Hardenberg), der 1800 entstand und 1802 postum veröffentlicht wurde. Der Roman basiert auf der Sage des mittelalterlichen Sängers Heinrich von Ofterdingen.
Warum blieb der Roman unvollendet?
Novalis konnte den Roman aufgrund beruflicher Verpflichtungen und seiner Krankheit nicht fertigstellen. Der erste Teil und ein Teil des Anfangskapitels des zweiten Teils sind vollständig.
Was ist die zentrale Thematik des Romans?
Das zentrale Thema ist die Poesie im romantischen Sinne einer „Poesie des Lebens“. Novalis beschreibt den Roman selbst als „Apotheose der Poesie“. Er verknüpft die Poesie mit der Wissenschaft und fordert den Leser zur gedanklichen Selbsttätigkeit auf.
Welche Rolle spielt die blaue Blume im Roman?
Die blaue Blume ist ein zentrales Symbol des Romans und der Romantik insgesamt. Sie steht für Sehnsucht, Erkenntnis und das Streben nach dem Unerreichbaren. Heinrichs Suche nach der blauen Blume symbolisiert seine Suche nach poetischer und spiritueller Erfüllung.
Wie unterscheidet sich „Heinrich von Ofterdingen“ von Goethes „Wilhelm Meister“?
„Heinrich von Ofterdingen“ ist eine Antwort auf Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“. Während Goethe das Diesseitige und Pragmatische betont, strebt Novalis nach einer vollständigen Auflösung in Poesie und Märchen. Heinrichs Reise ist eine nach innerer Erkenntnis und mystischer Einsicht, während Wilhelm Meister seine Erfahrungen in der äußeren Welt sammelt.
Wie ist der Roman strukturiert?
Der Roman ist in zwei Teile gegliedert:
- Die Erwartung: Dieser Teil beschreibt Heinrichs Reise und seine anfängliche Entwicklung als Dichter.
- Die Erfüllung: Von diesem Teil existieren nur Fragmente. Er sollte Heinrichs weitere Entwicklung und seine endgültige Transformation darstellen.
Was sind die wichtigsten Einflüsse auf den Roman?
Wichtige Einflüsse sind Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, Tiecks „Franz Sternbalds Wanderungen“ und die naturphilosophischen Überlegungen Jakob Böhmes. Auch verschiedene Chroniken und Legenden, wie die Düringische Chronik und die Mansfeldische Chronik, dienten als Inspiration.
Was zeichnet den Stil des Romans aus?
Novalis‘ Stil ist poetisch und bildreich. Er verwendet Symbole und Metaphern, um tiefgreifende emotionale und spirituelle Themen zu vermitteln. Der Roman bricht bewusst mit realistisch-psychologischen Erzählkonventionen und erzeugt eine „dichterische Melodik“, die Ruhe und Verschmelzung symbolisiert.
Welche Rolle spielt das Mittelalter im Roman?
Das Mittelalter wird positiv dargestellt und dient als Gegenbild zur prosaischen und utilitaristischen Moderne. Novalis wählt das Mittelalter als Übergangszeit, die Heinrich auf dem Weg zum goldenen Zeitalter durchschreiten muss.
Wie endet der erste Teil des Romans?
Der erste Teil endet mit einem Märchen, das von Klingsohr erzählt wird. Dieses Märchen symbolisiert die Utopie der Welterlösung durch Poesie und Liebe und dient als komprimierte Darstellung des geplanten Romanendes.
Was wäre im unvollendeten zweiten Teil des Romans geschehen?
Im zweiten Teil sollte Heinrich alle Zeiten und Räume durchwandern, wobei das Märchenhafte immer mehr durchbrechen sollte. Heinrich sollte zahlreiche Verwandlungen durchmachen und das goldene Zeitalter herbeiführen. Das Ende sollte eine große Vereinigung und die Aufhebung der Zeit darstellen.
Welche Bedeutung hat der Roman für die Romantik?
„Heinrich von Ofterdingen“ ist ein bedeutender Beitrag zur Universalpoesie der Frühromantiker. Novalis wollte durch die Poesie eine bessere Welt darstellen und herstellen, in der das Mittelalter als Übergangszeit zu einem neuen, goldenen Zeitalter dient.
Welche Anregungen erhielt Novalis für den Roman?
Die ersten Anregungen erhielt Novalis 1799 während einer Inspektionsreise nach Artern am Kyffhäuser. Hier lernte er den Historiker Karl Wilhelm Ferdinand von Funck kennen und setzte sich mit verschiedenen Chroniken auseinander, die ihn mit der Sage vom Sängerkrieg auf der Wartburg bekannt machten.
Wie wurde der Roman nach Novalis‘ Tod veröffentlicht?
Der erste Teil des Romans wurde postum im Juni 1802 veröffentlicht. Gegen Ende des Jahres 1802 wurde das Romanfragment erstmals vollständig herausgegeben, basierend auf den überlieferten Notizen von Novalis und Berichten von Ludwig Tieck.
Heinrich von Ofterdingen – Buch
Novalis.
Heinrich von Ofterdingen.
Nach der Ausgabe von 1802.
Mit Ludwig Tiecks Bericht über die Fortsetzung.
Erstdruck des 1. Teils: Novalis. Heinrich von Ofterdingen, Ein nachgelassener Roman, Realschulbuchhandlung, Berlin 1802.
Erstdruck des 2. Teils und von Tiecks Bericht in: Schriften, Berlin 1802.
Durchgesehener Neusatz, der Text dieser Ausgabe folgt: Insel Verlag, Frankfurt am Main 1982.
Neuausgabe, LIWI Verlag, Göttingen 2022.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag
Buch-ISBN: 9783965425484
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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 15. Juni 2024