Die Welt von Gestern - Stefan Zweig

Kleider machen Leute

„Der dunkelgrüne Sammet seines Rockes nahm sich selbst auf dem nächtlichen Schnee schön und edel aus; der schlanke Leib und die geschmeidigen Glieder, wohl geschnürt und bekleidet, alles sagte noch in der Erstarrung, am Rande des Unterganges, im Verlorensein: Kleider machen Leute!“

Zitat aus: Gottfried Keller. Kleider machen Leute.

Kleider machen Leute – Zusammenfassung / Inhaltsangabe

Polnischer Flügelhusar aus dem Geschlecht der Sobieski

Ankunft in Goldach

Der junge Schneidergeselle Wenzel Strapinski ist arbeitslos und auf der Suche nach einem besseren Leben. Eines kalten Herbsttages erreicht er die Stadt Goldach. Trotz seiner Armut trägt er seinen besten Anzug, den er sich in besseren Zeiten geschneidert hat. Seine gepflegte Erscheinung führt dazu, dass die Bürger ihn für einen adligen Grafen halten. Der Kutscher, der ihn in die Stadt bringt, verstärkt diesen Eindruck, indem er die Geschichte eines vermögenden Grafen verbreitet.

Die Verwechslung nimmt ihren Lauf

Wenzel wird von den Bürgern der Stadt herzlich empfangen. Der Wirt des Gasthauses, in dem er einkehrt, behandelt ihn mit großer Ehrerbietung. Wenzel ist zunächst überrascht, genießt aber bald die Aufmerksamkeit und die Annehmlichkeiten, die ihm zuteilwerden. Da er Hunger hat und eine warme Unterkunft benötigt, lässt er die Missverständnisse unkommentiert.

Der Ball und die Begegnung mit Nettchen

Während seines Aufenthalts in Goldach wird Wenzel zu einem Ball eingeladen, auf dem er die schöne und wohlhabende Nettchen kennenlernt. Nettchen ist die Tochter eines wohlhabenden Bürgers und fühlt sich sofort zu dem vermeintlichen Grafen hingezogen. Wenzel, überwältigt von ihren Reizen und ihrer Freundlichkeit, verliebt sich in sie. Auch Nettchen erwidert seine Gefühle, was die Situation für Wenzel noch komplizierter macht.

Das Leben im Lügengebäude

Wenzel lebt weiterhin als falscher Graf und genießt die Anerkennung und den Wohlstand, die ihm durch diese Verwechslung zuteilwerden. Doch er ist zunehmend geplagt von Gewissensbissen und der Angst, dass seine wahre Identität entdeckt wird. Er weiß, dass die Wahrheit nicht nur seine neue Stellung, sondern auch seine Beziehung zu Nettchen zerstören könnte.

Die Enthüllung und die Flucht

Eines Tages wird Wenzel von einem ehemaligen Bekannten, dem Amtsrat, erkannt, der seine wahre Identität als armer Schneidergeselle enthüllt. Die Bürger von Goldach sind empört und fühlen sich betrogen. Wenzel sieht keinen anderen Ausweg, als die Stadt zu verlassen und flieht unter dem Spott und den Vorwürfen der Bürger.

Die Wendung und das Happy End

Nettchen jedoch glaubt weiterhin an Wenzels guten Charakter und ist bereit, ihm zu vergeben. Sie überzeugt ihren Vater und die Bürger von Goldach, dass Wenzel trotz seiner Täuschung ein ehrlicher und liebenswerter Mensch ist. Nettchen findet Wenzel und bringt ihn zurück nach Goldach. Schließlich kommt es zu einer Versöhnung, und Wenzel und Nettchen heiraten. Die Geschichte endet mit dem Hinweis, dass Wenzel durch Fleiß und Ehrlichkeit das Vertrauen der Bürger wiedergewinnt und zu einem geachteten Mitglied der Gemeinschaft wird.

Kleider machen Leute – Wichtige Charaktere

Wenzel Strapinski

Wenzel Strapinski ist der Protagonist der Geschichte und ein armer Schneidergeselle aus Polen. Er ist auf Wanderschaft, um Arbeit zu finden, und trägt stets seinen besten Anzug, den er selbst geschneidert hat. Dieser Anzug, der ihm ein elegantes Aussehen verleiht, führt dazu, dass die Menschen in der Stadt Goldach ihn für einen Grafen halten. Trotz seiner Armut hat Wenzel eine edle und gepflegte Erscheinung, die ihm ungewollt eine neue Identität verschafft. Wenzel ist ein sensibler und bescheidener Mann, der sich zunächst über die Aufmerksamkeit freut, aber bald von Gewissensbissen geplagt wird, weil er die Verwechslung nicht aufklärt. Seine innere Zerrissenheit und die Angst vor der Enthüllung seiner wahren Identität machen ihn zu einer vielschichtigen und sympathischen Figur. Am Ende der Geschichte beweist Wenzel jedoch seinen guten Charakter und seine Ehrlichkeit, was ihm die Zuneigung und Vergebung von Nettchen und den Bürgern von Goldach einbringt.

Nettchen

Nettchen ist die Tochter eines wohlhabenden Bürgers in Goldach und spielt eine zentrale Rolle in der Geschichte. Sie ist eine junge, schöne und gutherzige Frau, die sich schnell in den vermeintlichen Grafen Wenzel verliebt. Nettchen ist von seiner eleganten Erscheinung und seinem charmanten Auftreten fasziniert. Ihre Liebe zu Wenzel ist tief und aufrichtig, und sie bleibt ihm treu, auch als seine wahre Identität enthüllt wird. Nettchens Charakter steht für Verständnis und Vergebung. Sie erkennt die guten Eigenschaften in Wenzel und ist bereit, die Missverständnisse und Täuschungen zu überwinden. Durch ihre Unterstützung und Fürsprache schafft sie es, die Bürger von Goldach zu überzeugen, Wenzel eine zweite Chance zu geben. Nettchens Güte und Loyalität sind entscheidend für das glückliche Ende der Geschichte.

Der Amtsrat

Der Amtsrat ist ein bekannter Wenzels aus dessen früheren Leben. Er spielt eine kritische Rolle in der Geschichte, da er derjenige ist, der Wenzels wahre Identität als armer Schneidergeselle enthüllt. Seine Enthüllung führt zu einem dramatischen Wendepunkt in der Handlung, indem sie die Bürger von Goldach empört und Wenzel zur Flucht zwingt. Der Amtsrat repräsentiert die gesellschaftliche Kontrolle und die unbarmherzige Realität, die die Illusion von Wenzels vorgetäuschter Identität zerstört. Seine Enthüllung dient als Katalysator für die endgültige Auflösung der Täuschung und bringt die Wahrheit ans Licht.

Der Wirt

Der Wirt ist der Besitzer des Gasthauses in Goldach und eine wichtige Nebenfigur, die zur Verwechslungsgeschichte beiträgt. Er ist einer der ersten, der Wenzel für einen Grafen hält und ihn entsprechend behandelt. Durch seine freundliche und ehrerbietige Art verstärkt er den Eindruck, dass Wenzel tatsächlich adlig ist. Der Wirt bietet Wenzel nicht nur eine Unterkunft, sondern auch eine Plattform, um seine vermeintliche Identität weiterzuführen. Seine Behandlung von Wenzel als adligen Gast trägt wesentlich dazu bei, dass die Verwechslung unbemerkt bleibt und sich weiterentwickelt. Der Wirt symbolisiert die Oberflächlichkeit und Leichtgläubigkeit der Gesellschaft, die sich stark von äußeren Erscheinungen beeinflussen lässt.

Kleider machen Leute – Aufbau

Die Novelle ist in mehrere Kapitel unterteilt, die die verschiedenen Phasen von Wenzels Aufenthalt in Goldach und die Entwicklung der Verwechslungsgeschichte schildern. Die Handlung folgt einem linearen Verlauf, beginnend mit Wenzels Ankunft in Goldach, über die Höhepunkte seiner falschen Identität bis hin zur Enthüllung und der abschließenden Versöhnung.

Kontrastierung

Ein zentrales Kompositionsprinzip ist der Kontrast zwischen Schein und Sein. Wenzels äußere Erscheinung steht im starken Gegensatz zu seiner wahren Identität als armer Schneider. Dieser Kontrast wird durch die Reaktionen der Bürger und die sich entwickelnde Liebesgeschichte zwischen Wenzel und Nettchen immer wieder hervorgehoben.

Kleider machen Leute – Analyse von Sprache und Stil

Gottfried Keller verwendet eine klare und realistische Sprache, die die sozialen Verhältnisse und die psychologischen Motive der Figuren präzise darstellt. Die detaillierten Beschreibungen der Kleidung und der Umgebung betonen die Bedeutung des äußeren Scheins in der Gesellschaft.

Ironie und Satire

Der Erzählstil ist oft von Ironie geprägt, insbesondere in der Darstellung der Bürger von Goldach, die sich leicht von äußeren Erscheinungen täuschen lassen. Keller nutzt diese Ironie, um die Oberflächlichkeit und die Vorurteile der Gesellschaft zu kritisieren.

Symbolik

Die Kleidung als zentrales Motiv symbolisiert die Bedeutung von Status und Ansehen in der Gesellschaft. Wenzels Anzug, der ihn in die Rolle des Grafen versetzt, wird zum Symbol für die Macht des äußeren Scheins und die Illusionen, die daraus entstehen können.

Kleider machen Leute – Interpretation

Keller kritisiert die Oberflächlichkeit der Gesellschaft, die Menschen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild beurteilt. Die Geschichte zeigt, wie leicht sich Menschen von Äußerlichkeiten täuschen lassen und wie wichtig es ist, hinter die Fassade zu blicken.

Identität und Selbstwahrnehmung

Die Novelle thematisiert die Frage der Identität und Selbstwahrnehmung. Wenzel kämpft mit seiner wahren Identität und der Rolle, die ihm von der Gesellschaft zugeschrieben wird. Die Geschichte zeigt, wie äußere Umstände die Selbstwahrnehmung und das Verhalten eines Individuums beeinflussen können.

Moral und Vergebung

Ein zentrales Thema ist auch die Moral und die Fähigkeit zur Vergebung. Trotz seiner Täuschung wird Wenzel am Ende für seine guten Eigenschaften und seinen Charakter geschätzt. Nettchens Bereitschaft zur Vergebung und ihre Unterstützung für Wenzel betonen die Bedeutung von Menschlichkeit und Mitgefühl.

Kleider machen Leute – Epoche und historischer Hintergrund

Epoche: Realismus

realismus-literatur epoche uebersicht„Kleider machen Leute“ ist ein Werk des Realismus, einer literarischen Epoche, die sich durch eine realistische Darstellung des Lebens und der Gesellschaft auszeichnet. Der Realismus betont die objektive Beobachtung und die detaillierte Beschreibung der sozialen Verhältnisse.

Historischer Kontext

Die Novelle wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geschrieben, einer Zeit des gesellschaftlichen Wandels und der Industrialisierung. Die Themen Status und Ansehen waren besonders relevant, da die Gesellschaft sich stark nach sozialen Klassen unterschied und das äußere Erscheinungsbild oft über den sozialen Aufstieg entschied.

Kleider machen Leute – Über den Autor: Gottfried Keller

Leben und Werk

Gottfried Keller wurde 1819 in Zürich geboren und starb 1890. Er gilt als einer der bedeutendsten Vertreter des deutschsprachigen Realismus. Neben „Kleider machen Leute“ schrieb er weitere bedeutende Werke wie den Roman „Der grüne Heinrich“ und die Novellensammlung „Die Leute von Seldwyla“.

Einflüsse

Kellers Werk ist stark von seinen eigenen Erfahrungen und Beobachtungen geprägt. Seine präzise Darstellung der gesellschaftlichen Verhältnisse und menschlichen Charaktere spiegelt seine realistische Sichtweise wider.

Kleider machen Leute – Die häufigsten Fragen

Warum wird Wenzel Strapinski für einen Grafen gehalten?

Wenzel wird aufgrund seiner eleganten Kleidung und seines gepflegten Auftretens für einen Grafen gehalten. Die Bürger von Goldach schließen von seinem Äußeren auf seinen sozialen Status.

Wie reagiert die Gesellschaft auf die Enthüllung von Wenzels wahrer Identität?

Die Bürger von Goldach sind empört und fühlen sich betrogen, als Wenzels wahre Identität als armer Schneidergeselle enthüllt wird. Doch durch Nettchens Fürsprache und Wenzels guten Charakter kommt es schließlich zur Versöhnung.

Welche Rolle spielt Nettchen in der Geschichte?

Nettchen ist die Tochter eines wohlhabenden Bürgers, die sich in Wenzel verliebt und ihm trotz der Enthüllung seiner wahren Identität treu bleibt. Sie spielt eine zentrale Rolle in der Versöhnung und der positiven Wendung der Geschichte.

Was ist die zentrale Botschaft der Novelle?

Die zentrale Botschaft der Novelle ist die Kritik an der Oberflächlichkeit der Gesellschaft und die Bedeutung von Charakter und Menschlichkeit über äußere Erscheinungen hinaus.

Kleider machen Leute – Buch

Gottfried Keller - Kleider machen LeuteGottfried Keller.
Kleider machen Leute.
Erstdruck in: Die Leute von Seldwyla, G. J. Göschen’sche Verlagsbuchhandlung, Leipzig 1874.
Vollständige Neuausgabe, 1. Auflage, Göttingen 2018.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag

ISBN: 3965420747
EAN: 9783965420748
Paperback. 36 Seiten

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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 18. Mai 2024