Else Lasker-Schüler - Der Malik

Der Malik

„Mein lieber, lieber, lieber, lieber blauer Reiter Franz Marc. Du willst wissen, wie ich alles zu Hause angetroffen habe? Durch die Fensterluke kann ich mir aus der Nacht ein schwarz Schäfchen greifen, das der Mond behütet; ich wär dann nicht mehr so allein, hätte etwas zum Spielen. (…) Ich nehme schon seit Wochen Opium, dann werden Ratten Rosen und morgens fliegen die bunten Sonnenfleckchen wie Engelchen in meine Spelunke und tanzen über den Boden, über mein Sterbehemd herüber und färben es bunt (…).“

Else Lasker-Schülers leidenschaftlicher, avantgardistischer Briefroman besteht aus zwei Teilen:

Der erste Teil umfasst 55 Briefe an den „lieben blauen Reiter“ Franz Marc, begonnen 1913 zu Lebzeiten des Malers. Nach dessen Tod im Ersten Weltkrieg 1916 verfasst die Dichterin 1917 den zweiten Teil, die „Krönungsrede“, um ihren Verlust zu verarbeiten.

Neben dem direkt angeredeten Franz Marc werden zahlreiche prominente Zeitgenossen wie Karl Kraus (S.9), Gottfried Benn (S. 14), Richard Dehmel (S. 26) oder Franz Werfel (S.26 in dieser Ausgabe) erwähnt. Nach Vorabdrucken der Briefe in verschiedenen Zeitschriften erfolgt 1919 der Erstdruck der beiden Teile bei Paul Cassirer in Berlin.

Der Malik – Zusammenfassung

Franz Marc – Der Turm der blauen Pferde – 1912 – 1913

Der Malik“ ist ein avantgardistischer Briefroman der deutschen Dichterin Else Lasker-Schüler, der eine einzigartige Position in der literarischen Moderne einnimmt. Geschrieben wurde das Werk in zwei Phasen, zwischen 1913 und 1917, und es erschien 1919 im Verlag Paul Cassirer in Berlin. Der Roman reflektiert Lasker-Schülers tiefe Trauer um den Verlust des Malers Franz Marc, der 1916 im Ersten Weltkrieg fiel, und ist eine künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Verlust.

Überblick

Im Roman verwendet Else Lasker-Schüler den Namen Malik, einer der 99 Namen Allahs, was auf Arabisch „König“ bedeutet. Dieser Titel ist symbolisch für die thematische und stilistische Beherrschung des Werkes durch die Autorin. Der erste Teil des Romans besteht aus 55 Briefen, die vorab zwischen 1913 und 1915 in den Zeitschriften Die Aktion und Der Brenner gedruckt wurden. Diese Briefe sind an ihren „lieben blauen Reiter“ Franz Marc gerichtet, dessen Tod im Krieg den kreativen Ausgangspunkt für das Werk bildet.

Architektur des Romans

Der Roman ist eine komplexe Mischung aus realen historischen Ereignissen und fiktiven, oft mythologisch oder biblisch inspirierten Erzählsträngen. Die Erzählung ist auf mindestens drei Ebenen angesiedelt: die Gegenwart der Autorin während des Ersten Weltkrieges, die alttestamentliche Zeit und andere historische Perioden wie das beginnende 13. Jahrhundert und die Zeiten des 18. und 19. Jahrhunderts. Diese Verschmelzung von Zeiten und Räumen bildet eine phantasmagorische Welt, in der die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwimmen.

Inhaltliche Zusammenfassung

Im Zentrum des Romans steht der Protagonist Jussuf, den Lasker-Schüler auch als Malik von Theben und Prinz Jussuf bezeichnet. Diese Figur ist stark autobiografisch gefärbt und repräsentiert die künstlerische Selbstdarstellung der Autorin. Jussuf sendet Liebesbriefe an seinen Halbbruder Ruben, der auch als blauer Reiter Marc oder Franz Marc interpretiert wird. Über den Verlauf des Romans transformiert sich die Briefform zur Erzählung über Jussuf, der später zum Kaiser Abigail Jussuf aufsteigt.

Der Roman deckt auch die politischen und sozialen Unruhen dieser Zeit ab, reflektiert durch die Auseinandersetzungen im fiktiven Königreich Theben und die Kriegsereignisse, die der Erste Weltkrieg mit sich brachte. Jussuf bzw. Malik wird als eine Figur dargestellt, die trotz ihrer Macht und ihres Einflusses auf innere Konflikte und persönliche Verluste mit Apathie und Trauer reagiert.

Themen und Motive

Der Tod, die Macht, die Identität und die Kunst sind zentrale Themen in „Der Malik„. Die Verwendung von Pseudonymen und die Anspielung auf biblische sowie historische Figuren verstärken die literarische Vielschichtigkeit des Werkes. Der Roman ist nicht nur eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Tod von Franz Marc, sondern auch ein Kommentar zu den Zeitgeschehen, insbesondere dem Ersten Weltkrieg und seinen Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Kunst.

Form und Stil

Der Malik“ zeichnet sich durch eine experimentelle Form aus, die typisch für die avantgardistische Literatur dieser Zeit ist. Else Lasker-Schüler bricht mit traditionellen narrativen Strukturen und vermengt lyrische Prosa mit dramatischen Elementen. Die Sprache ist reich an Metaphern und Symbolik, was den Text sowohl herausfordernd als auch faszinierend macht.

Else Lasker-Schüler – Leben und Werk

Elisabeth „Else“ Lasker-Schüler, geboren am 11. Februar 1869 in Elberfeld (heute ein Stadtteil von Wuppertal), ist eine der markantesten Figuren der deutschen Literatur des frühen 20. Jahrhunderts. Sie starb am 22. Januar 1945 in Jerusalem. Ihre Werke und ihr außergewöhnlicher Lebensstil machen sie zu einer Schlüsselfigur des Expressionismus und der avantgardistischen Moderne.

Biografische Hintergründe

Else Lasker-Schüler wurde als jüngstes von sechs Kindern in eine jüdische Familie hineingeboren. Ihr Vater, Aaron Schüler, war ein Privatbankier, und ihre Mutter, Jeanette Kissing, verstarb, als Else noch jung war, ein Ereignis, das sie tief prägte. Ihre Kindheit und Jugend waren von literarischer Frühreife gekennzeichnet; sie konnte bereits mit vier Jahren lesen und schreiben.

1894 heiratete sie den Arzt Berthold Lasker, zog nach Berlin und begann, sich im künstlerischen Milieu der Stadt zu etablieren. Diese Ehe wurde 1903 geschieden, und im selben Jahr heiratete sie den Schriftsteller und Herausgeber Herwarth Walden, der eine wichtige Rolle in der Entwicklung des literarischen Expressionismus in Deutschland spielte.

Literarisches Schaffen

Else Lasker-Schüler veröffentlichte ihren ersten Gedichtband Styx 1902. Ihre Gedichte, oft geprägt von einem lyrischen, expressiven Stil, behandeln Themen wie Liebe, Tod und metaphysische Suche. Der Band Meine Wunder festigte 1911 ihren Ruf als führende Expressionistin.

Ihr dramatisches Werk umfasst Stücke wie Die Wupper, das postum große Anerkennung fand. In ihren Dramen griff sie soziale Themen und persönliche Tragödien auf, oft durchzogen von einem starken Gefühl der Entfremdung.

Eine besondere Rolle in ihrem Werk spielen die bildenden Künste. Lasker-Schüler illustrierte viele ihrer eigenen Schriften und stand in engem Austausch mit Künstlern der Avantgarde, insbesondere mit Franz Marc. Ihr Austausch mit Marc, dokumentiert durch den lebhaften Briefwechsel und ihre künstlerische Zusammenarbeit, ist ein Schlüssel zum Verständnis ihres künstlerischen Ansatzes.

Emigration und Exil

Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem frühen Tod ihres Sohnes Paul geriet Lasker-Schüler in finanzielle und persönliche Krisen, die sie 1933 zur Emigration zwangen. Sie lebte zunächst in der Schweiz, reiste aber wegen der restriktiven politischen Lage und Arbeitsverbote schließlich nach Jerusalem aus.

In Palästina fand sie eine neue Heimat, war jedoch auch hier von den politischen und sozialen Spannungen betroffen. Ihre letzten Jahre waren von Isolation und finanzieller Not geprägt, und sie widmete sich weiterhin der Kunst und Literatur, oft beeinflusst von der sehnsüchtigen Erinnerung an ihre Heimat.

Rezeption und Einfluss

Else Lasker-Schüler war nicht nur eine literarische, sondern auch eine öffentliche Figur. Ihr unkonventioneller Lebensstil und ihr exzentrisches öffentliches Auftreten, oft in der Verkleidung ihres lyrischen Alter Egos Prinz Jussuf, waren legendär und trugen zu ihrem künstlerischen Mythos bei.

Ihr Werk wurde posthum breit rezipiert und ist Teil des literarischen Kanons des deutschen Expressionismus. Ihre Gedichte und Briefe bleiben einflussreich, sowohl in der literarischen Welt als auch in der breiteren kulturellen Wahrnehmung der modernen Kunst.

Else Lasker-Schülers Leben und Werk bieten ein tiefes Verständnis für die kulturellen und persönlichen Kämpfe einer Künstlerin in den turbulenten Zeiten des frühen 20. Jahrhunderts. Sie hinterließ ein vielseitiges Erbe, das in ihrer Lyrik, ihrer Prosa, ihren Dramen und Zeichnungen weiterlebt, und gilt heute als eine der wichtigsten Stimmen der deutschen Literaturgeschichte.

Der Malik – Buch

Die hier vorliegende Neuausgabe entält den vollständigen Text beider Teile basierend auf der dtv-Ausgabe von 1986.

Else Lasker-Schüler.
Der Malik.
Eine Kaisergeschichte.
Erstdruck: Verlag Paul Cassirer, Berlin 1919.
Durchgesehener Neusatz, der Text dieser Ausgabe folgt:
Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1986.

Neuausgabe, LIWI Verlag, Göttingen 2020.

EAN: 9783965423954
ISBN: 3965423959
Eine Kaisergeschichte. Paperback.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag
Oktober 2020 – 88 Seiten

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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 10. Mai 2024