Die Welt von Gestern - Stefan Zweig

Reigen

In zehn erotischen Dialogen begegnen sich zehn Paare.

In einer Zeit, in der Sexualität tabuisiert wurde, erregten die frivolen, triebhaften, ironischen Dialoge die Gemüter und führten zu einem Skandal. Im „Reigen-Prozeß“ wurden Arthur Schnitzler sowie die Schauspieler der Uraufführung schließlich angeklagt.

Der Prozeß endete mit einem Freispruch und wurde so zu einem Erfolg für das progressive Theater der Zwanziger Jahre.

Zusammenfassung / Inhaltsangabe

Arthur Schnitzler Buch ZusammenfassungArthur Schnitzlers „Reigen“ ist eine provokative Sammlung von zehn Dialogen, die um 1900 veröffentlicht wurde und die sexuellen Beziehungen verschiedener gesellschaftlicher Schichten in der Wiener Moderne beleuchtet.

Jeder Dialog zeigt ein Paar vor und nach dem Geschlechtsakt, wobei jede Szene mit einem der Partner endet und die nächste Szene mit diesem Partner und einem neuen beginnt, bis sich der Kreis schließt.

Diese Struktur bildet einen Reigen (oder Karussell), der die Universität und Zyklizität menschlicher Beziehungen darstellt.

Die Charaktere reichen von der Prostituierten zum Soldaten, vom jungen Herrn zur jungen Frau und schließlich von der Grafen zurück zur Prostituierten, was die sozialen Grenzen und Klassenunterschiede überschreitet.

Dialog 1: Die Dirne und der Soldat

Eine Dirne und ein Soldat treffen sich auf der Straße und verbringen gemeinsam die Nacht. Ihre Konversation vor und nach dem Geschlechtsakt beleuchtet ihre pragmatische Sicht auf Liebe und Beziehungen, geprägt von ihren Lebensumständen.

Dialog 2: Der Soldat und das Stubenmädchen

Der Soldat verführt ein Stubenmädchen. Ihre Unterhaltung zeigt eine Mischung aus Naivität und ein flüchtiges Gefühl der Zuneigung, das schnell dem Alltag weicht.

Dialog 3: Das Stubenmädchen und der junge Herr

Das Stubenmädchen trifft sich mit einem jungen Herrn, einem Sohn aus gutem Hause. Ihre Begegnung zeigt die sozialen Unterschiede und die Leichtigkeit, mit der diese im privaten Rahmen überwunden werden können, jedoch ohne die bestehenden Klassenbarrieren zu ignorieren.

Dialog 4: Der junge Herr und die junge Frau

Der junge Herr und eine junge Frau aus seinem sozialen Kreis erleben eine intimere Begegnung. Ihre Konversation nach dem Akt ist voller Andeutungen und Verstellungen, die ihre tieferen Gefühle und die gesellschaftlichen Erwartungen an sie verbergen.

Dialog 5: Die junge Frau und der Ehemann

Die junge Frau hat eine Affäre mit einem verheirateten Mann. Ihr Dialog zeigt die Komplexität und Heuchelei verheirateter Männer, die nach außen hin tugendhaft erscheinen, sich privat jedoch ganz anders verhalten.

Dialog 6: Der Ehemann und das süße Mädel

Der Ehemann trifft sich mit einem süßen Mädel, einer lebenslustigen, unkomplizierten jungen Frau. Ihre Begegnung ist geprägt von Unbeschwertheit und Lebensfreude, die einen Kontrast zu den schwerfälligeren Beziehungen der vorherigen Dialoge bildet.

Dialog 7: Das süße Mädel und der Dichter

Das süße Mädel und ein Dichter teilen eine Nacht, die von romantischen Illusionen und der Sehnsucht nach echter, tieferer Verbindung geprägt ist. Der Dichter reflektiert über die Vergänglichkeit der Liebe und das Künstlertum.

Dialog 8: Der Dichter und die Schauspielerin

Der Dichter und eine Schauspielerin erleben eine Begegnung, die von Intellektualität und künstlerischer Affinität geprägt ist. Ihre Diskussionen über Kunst und Liebe enthüllen eine komplexe, aber letztlich oberflächliche Verbindung.

Dialog 9: Die Schauspielerin und der Graf

Die Schauspielerin verbringt die Zeit mit einem Grafen, bei dem die gesellschaftlichen Unterschiede und Machtspiele besonders deutlich werden. Ihre Interaktion ist ein Spiel aus Verführung, Manipulation und gesellschaftlichem Kalkül.

Dialog 10: Der Graf und die Dirne

Der Kreis schließt sich, als der Graf auf die Dirne trifft, mit der der erste Dialog begann. Ihre Begegnung zeigt, wie sich die sozialen Schichten vermischen, wobei am Ende alle Unterschiede in der Universalität menschlicher Bedürfnisse und Sehnsüchte verschwimmen.

Analyse von Aufbau, Sprache und Stil

Der Aufbau von „Reigen“ folgt einem strengen zyklischen Muster, das die Verflechtung und Gleichheit der menschlichen Natur über soziale und moralische Grenzen hinweg illustriert.

Die Sprache ist einfach und direkt, mit einem Fokus auf den Dialog zwischen den Charakteren, der die Intimität und Authentizität der zwischenmenschlichen Beziehungen hervorhebt.

Schnitzlers Stil ist dabei sowohl subtil als auch scharfsinnig, wobei er es meisterhaft versteht, die Doppelmoral der Gesellschaft und die verborgenen Motivationen seiner Charaktere zu entlarven.

Die Wiederholung der Situationen – die Verführung, der Akt selbst und das Gespräch danach – in unterschiedlichen sozialen Konstellationen betont die Universalität der menschlichen Erfahrung.

Interpretation

„Reigen“ bietet eine tiefgreifende Kritik an der sexuellen Moral und den sozialen Konventionen der Wiener Gesellschaft um 1900.

Die Verbindung zwischen Charakteren unterschiedlicher sozialer Schichten wirft ein Licht auf die Heuchelei und Oberflächlichkeit gesellschaftlicher Normen und Werte.

Durch die Darstellung der sexuellen Beziehungen als ein verbindendes Element der Menschheit stellt Schnitzler Fragen nach der Authentizität und Integrität persönlicher und sozialer Beziehungen.

„Reigen“ ist nicht nur eine soziale Satire, sondern auch eine exploration der menschlichen Sexualität und Intimität, die weit über die Grenzen seiner Zeit hinaus Bedeutung hat.

Arthur Schnitzlers „Reigen“ bleibt ein bahnbrechendes Werk, das die Komplexität menschlicher Beziehungen aufdeckt und die soziale Kritik mit einer feinsinnigen psychologischen Beobachtung verbindet.

Wichtige Figuren

In Arthur Schnitzlers „Reigen“ treten zwar viele Figuren auf, doch aufgrund der Struktur der Novelle – jede Szene zeigt ein neues Paar – gibt es keine durchgehenden Hauptfiguren im klassischen Sinne. Stattdessen symbolisiert jede Figur eine bestimmte soziale Schicht oder Rolle innerhalb der Gesellschaft.

Die Dirne

Die Dirne steht am Anfang und Ende des Reigens und symbolisiert die Zyklizität menschlicher Beziehungen sowie die Universalität sexueller Begegnungen über soziale Grenzen hinweg.

Der Soldat

Der Soldat repräsentiert die niedere Militärklasse und bringt Themen wie Ehre und männliche Identität ins Spiel.

Das Stubenmädchen

Das Stubenmädchen illustriert die Arbeiterklasse und deren Träume von einem besseren Leben, eingefangen durch ihre kurze, aber bedeutungsvolle Begegnung.

Der junge Herr

Der junge Herr steht für die gehobene Bürgerschaft und deren oft oberflächlichen Beziehungen und moralischen Doppelmoral.

Die junge Frau

Die junge Frau aus ähnlichem gesellschaftlichen Stand wie der junge Herr verdeutlicht die Komplexität weiblicher Sexualität und gesellschaftlicher Erwartungen an Frauen.

Der Ehemann

Der Ehemann repräsentiert die verheirateten Männer der Mittelschicht, gefangen in ihrer Doppelmoral und Sehnsucht nach Abenteuer.

Das süße Mädel

Das süße Mädel symbolisiert die Unbeschwertheit und Lebensfreude der Jugend, unbelastet von den strengen sozialen Normen.

Der Dichter

Der Dichter steht für die Künstlerschaft, reflektiert über die Kunst und das Leben und zeigt die Sehnsucht nach tieferer Bedeutung.

Die Schauspielerin

Die Schauspielerin repräsentiert die kulturelle Elite, die sich ihrer Wirkung und ihres Wertes innerhalb der Gesellschaft bewusst ist.

Der Graf

Der Graf symbolisiert die Oberschicht und deren Macht und Einfluss, aber auch deren Isolation und Entfremdung.

Literarische Epoche und historischer Hintergrund

„Reigen“ wurde im Kontext der Wiener Moderne veröffentlicht, einer Epoche, die durch tiefgreifende soziale, kulturelle und psychologische Veränderungen gekennzeichnet war.

  • Zeit des Umbruchs: Die Wiener Moderne war eine Zeit des Umbruchs, geprägt von der Industrialisierung, Urbanisierung und dem Aufkommen der Psychoanalyse.
  • Gesellschaftliche Normen: Die Werke dieser Epoche hinterfragen oft kritisch die gesellschaftlichen Normen und moralischen Werte, insbesondere in Bezug auf Sexualität und persönliche Freiheit.
  • Psychologischer Realismus: Schnitzlers Interesse an der Psychoanalyse spiegelt sich in seinem tiefen psychologischen Realismus wider, der die innere Welt der Charaktere erforscht.

Häufige Fragen und Antworten

Was ist die Botschaft von „Reigen“?

„Reigen“ erforscht die Komplexität menschlicher Beziehungen und kritisiert die gesellschaftliche Heuchelei und moralische Doppelmoral. Schnitzler zeigt auf, dass sexuelle Begegnungen die sozialen Grenzen überwinden können, hinterfragt dabei aber die Authentizität und Tiefe dieser Beziehungen.

Warum war „Reigen“ kontrovers?

Bei seiner Veröffentlichung war „Reigen“ wegen seiner offenen Darstellung von Sexualität und der kritischen Betrachtung gesellschaftlicher Konventionen hochgradig kontrovers. Schnitzlers Werk wurde als obszön betrachtet und löste heftige öffentliche Debatten und sogar Gerichtsverfahren aus.

Wie wurde „Reigen“ letztendlich rezipiert?

Trotz anfänglicher Kontroversen gilt „Reigen“ heute als Meisterwerk der literarischen Moderne. Schnitzlers scharfsinnige gesellschaftliche Beobachtungen und die innovative Nutzung des Dialogs und der Struktur haben das Werk zu einem Klassiker gemacht, der für seine tiefgehende menschliche Einsicht und kritische Perspektive auf soziale Konventionen geschätzt wird.

Inwiefern ist „Reigen“ heute noch relevant?

„Reigen“ bleibt aufgrund seiner universellen Themen der menschlichen Natur, Beziehungsdynamik und der kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Normen relevant. Schnitzlers Einsichten in die sexuellen und sozialen Beziehungen bieten auch heute noch wertvolle Perspektiven auf die komplexen Wechselwirkungen zwischen Individuum und Gesellschaft.

Welche literarische Bedeutung hat „Reigen“ für die Wiener Moderne?

„Reigen“ ist emblematisch für die Wiener Moderne, da es die charakteristischen Themen dieser Epoche – Sexualität, soziale Kritik, psychologische Tiefe – aufgreift und durch seine formale Gestaltung und seinen Inhalt die literarischen Innovationen der Zeit widerspiegelt. Das Werk zeigt Schnitzlers Fähigkeit, tief in die menschliche Psyche einzudringen und gleichzeitig eine scharfe Kritik an der gesellschaftlichen Heuchelei seiner Zeit zu üben.

Warum ist „Reigen“ ein Schlüsselwerk für das Verständnis von Schnitzlers Gesamtwerk?

„Reigen“ fasst viele der Kernthemen und -techniken zusammen, die Schnitzlers Gesamtwerk durchziehen, wie die Auseinandersetzung mit der menschlichen Sexualität, die Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen und die kritische Betrachtung sozialer Normen. Das Stück illustriert Schnitzlers literarische Meisterschaft und seinen mutigen Umgang mit kontroversen Themen, die ihn zu einer zentralen Figur der literarischen Moderne machen.

Literatur und Links

Gerd K. Schneider: Ich will jeden Tag einen Haufen Sternschnuppen auf Dich niederregnen sehen. Zur künstlerischen Rezeption von Arthur Schnitzlers „Reigen“ in Österreich, Deutschland und den USA. Praesens, Wien 2008

Alfred Pfoser, Kristina Pfoser-Schweig, Gerhard Renner: Schnitzlers Reigen. Zehn Dialoge und ihre Skandalgeschichte. Analysen und Dokumente. 2 Bände. Fischer, Frankfurt am Main 1993

Seite „Reigen (Drama)“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 16. März 2024, 23:21 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Reigen_(Drama)&oldid=243186296 (Abgerufen: 26. März 2024)

Buchausgabe

Arthur Schnitzler.
Reigen.
Zehn Dialoge.
Erstdruck: Wiener Verlag, Wien und Leipzig, 1903.
Uraufführung: Kleines Schauspielhaus, Berlin 23.12.1920 (Regie: Hubert Reusch).

Neuausgabe, Göttingen 2019.
LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag

ISBN: 3965420844
EAN: 9783965420847
Paperback.  60 Seiten

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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 26. März 2024