LIWI BLOG
Rezensionen über neue Bücher & Literaturklassiker, News zu Autoren & Lesungen, Artikelserie „Was macht ein Verlag?“
Neue Sachlichkeit (Literatur)
Die Neue Sachlichkeit war eine literarische Strömung in Deutschland während der Weimarer Republik, die sich durch eine nüchterne, realistische Darstellung der gesellschaftlichen Realitäten auszeichnete. Sie entstand als Reaktion auf den vorhergehenden Expressionismus und zielte darauf ab, eine objektive, ungeschönte Sicht auf die zeitgenössischen sozialen und politischen Bedingungen zu bieten.
Definition Neue Sachlichkeit
Die Neue Sachlichkeit ist eine literarische Bewegung, die durch eine direkte, unverblümte und oft kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit gekennzeichnet ist. Diese Strömung verzichtet auf emotionale Überhöhung und subjektive Verzerrung, stattdessen steht die genaue, oft dokumentarisch anmutende Beobachtung im Vordergrund, um eine objektive Darstellung der Realität zu erreichen.
Neue Sachlichkeit Übersicht – Das Wichtigste in Kürze
- Zeitraum: 1918 – 1933
- Einordnung: Reaktion auf den Expressionismus (1905 – 1925); vor der Exilliteratur (1933 – 1945).
- Geschichte: Eng verbunden mit der Weimarer Republik, endet mit dem Aufstieg der Nationalsozialisten
- Weltbild: Nüchtern, realistisch, objektiv
- Themen: Gesellschaftskritik, Alltag, Technik, Wirtschaftskrise
- Literatur: Charakterisiert durch Klarheit und eine zurückhaltende Sprache
- Wichtige Vertreter: Erich Kästner, Bertolt Brecht, Joseph Roth
Neue Sachlichkeit – Podcast
Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von open.spotify.com zu laden.
Neue Sachlichkeit Epoche – geschichtlicher Hintergrund
Die Neue Sachlichkeit ist eng mit der Weimarer Republik verbunden, einer Zeit großer politischer und sozialer Umbrüche in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg.
- Zeitraum: Die Bewegung erstreckte sich über die Jahre 1919 bis 1933, die gesamte Dauer der Weimarer Republik.
- Politische Instabilität: Die Nachkriegsjahre waren von politischer Unsicherheit, wirtschaftlicher Instabilität und gesellschaftlicher Unruhe geprägt.
Diese Periode erlebte eine Abkehr von den idealistischen Überhöhungen des Expressionismus hin zu einer nüchternen Betrachtung der Realität. Künstler und Schriftsteller suchten nach neuen Formen, um die veränderte Welt um sie herum direkt und unverfälscht darzustellen.
- Wirtschaftliche Krisen: Die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 verschärften die sozialen Spannungen und beeinflussten maßgeblich die thematische Ausrichtung der Literatur und Kunst dieser Epoche.
- Technischer Fortschritt: Die fortschreitende Technisierung und Urbanisierung veränderten das alltägliche Leben und wurden wichtige Themen in den Werken der Neuen Sachlichkeit.
Die Neue Sachlichkeit spiegelte ein wachsendes Bedürfnis wider, die Wirklichkeit ohne Beschönigung darzustellen, was in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels als notwendig erachtet wurde. Autoren und Künstler dieser Bewegung betonten die Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Zustände kritisch zu reflektieren und literarisch zu verarbeiten.
- Reaktion auf den Expressionismus: In Abgrenzung zum emotional geladenen und oft apokalyptischen Ton des Expressionismus, suchte die Neue Sachlichkeit nach einer sachlichen und objektiven Darstellungsweise.
- Kulturelle Blütezeit: Trotz oder gerade wegen der politischen und wirtschaftlichen Krisen erlebte die Weimarer Republik eine Zeit kultureller Blüte, in der auch die Neue Sachlichkeit ihren festen Platz fand.
Die Epoche endete mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die eine völlig andere kulturelle Agenda verfolgten und die Vertreter der Neuen Sachlichkeit sowie ihre Werke systematisch verfolgten und zensierten.
Neue Sachlichkeit Merkmale – Welt- und Menschenbild
Die Neue Sachlichkeit zeichnet sich durch ein nüchternes und objektives Weltbild aus, das eine starke Reaktion auf die vorherige expressionistische Epoche darstellt.
- Realismus und Objektivität: Die Bewegung strebte danach, die Welt so realistisch und ungeschönt wie möglich darzustellen. Künstler und Autoren fokussierten sich auf die präzise Beobachtung und dokumentarische Genauigkeit.
Dieses Weltbild reflektiert die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit und zeigt eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den sozialen Realitäten. Es geht nicht darum, eine idealisierte Vorstellung zu erzeugen, sondern die Wirklichkeit in ihrer oft rohen und unvollkommenen Form zu erfassen.
- Abkehr von Emotionalität: Im Gegensatz zum Expressionismus, der die inneren Gefühlswelten betonte, legte die Neue Sachlichkeit Wert auf eine distanzierte und analytische Betrachtung der menschlichen Zustände.
- Sozialkritik: Viele Werke thematisieren die soziale Ungleichheit und die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Individuum.
Das Menschenbild in der Neuen Sachlichkeit ist oft von einer gewissen Ernüchterung geprägt, die aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und den folgenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten resultiert. Die Figuren in der Literatur und Kunst dieser Bewegung sind typischerweise einfache Menschen, die mit den Herausforderungen der modernen Gesellschaft konfrontiert sind.
- Figuren als Produkte ihrer Umwelt: Charaktere werden oft als Produkte ihrer sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen dargestellt, was zu einer Betonung der Umweltfaktoren über individuelle Eigenschaften führt.
- Kritische Betrachtung der Moderne: Die Neue Sachlichkeit bietet oft eine kritische Betrachtung der Modernisierung und ihrer Auswirkungen auf den Menschen, wobei sie technologische Fortschritte sowohl fasziniert als auch kritisch hinterfragt.
Neue Sachlichkeit Merkmale – Themen und Motive
Die Neue Sachlichkeit beschäftigte sich intensiv mit der direkten und ungeschönten Darstellung der Realität, was sich in spezifischen Themen und Motiven manifestierte.
- Gesellschaftliche Probleme: Werke dieser Epoche fokussieren auf die Darstellung sozialer Missstände und politischer Konflikte, besonders im Kontext der Weimarer Republik.
- Technologie und Fortschritt: Die ambivalente Haltung gegenüber der technologischen Entwicklung und deren Einfluss auf das tägliche Leben ist ein wiederkehrendes Motiv.
Die Literatur und Kunst der Neuen Sachlichkeit wollte eine Spiegelung der tatsächlichen Verhältnisse bieten und schreckte dabei nicht vor der Darstellung unangenehmer Wahrheiten zurück.
- Alltagsleben: Das gewöhnliche Leben der Bevölkerung, oft in städtischen Milieus, wird mit besonderer Betonung auf Realismus und Detailgenauigkeit dargestellt.
- Kriegsfolgen: Die langanhaltenden Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Gesellschaft und das individuelle Bewusstsein wurden kritisch untersucht.
Einfache Sprache
Die einfache Sprache ist ein charakteristisches Merkmal der Neuen Sachlichkeit, um breite Bevölkerungsschichten anzusprechen und die Botschaften verständlich zu machen.
- Klarheit und Zugänglichkeit: Die Autoren nutzten eine klare, direkte Sprache, um komplexe Sachverhalte verständlich zu machen.
- Vermeidung von Lyrik: Es wurde oft eine prosaische, nüchterne Sprachform gewählt, um Distanz und Objektivität zu wahren.
Montage
Die Technik der Montage, entlehnt aus dem Film, wurde verwendet, um verschiedene Realitätsausschnitte zusammenzuführen und dadurch eine intensivere Wirkung zu erzielen.
- Zusammenfügen von Textelementen: Durch das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Textformen, wie Zeitungsausschnitte oder Werbeanzeigen, entstand ein vielschichtiges Bild der Realität.
- Visualität und Dynamik: Die Montagetechnik ermöglichte eine dynamische und visuell ansprechende Darstellung gesellschaftlicher Zustände.
Kunst
In der Kunst spiegelte die Neue Sachlichkeit den Wunsch nach einer realistischen Darstellung der Welt wider, die frei von romantischen Verklärungen war.
- Fokus auf das Objektive: Künstler wie Otto Dix und George Grosz stellten mit scharfer Präzision die Brutalität und die Entmenschlichung in der Gesellschaft dar.
- Kritik an der Bourgeoisie und Kriegsverherrlichung: Viele Kunstwerke zeigten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bürgertum und der Militarisierung der Gesellschaft.
Neue Sachlichkeit – Wichtige Autoren und Werke
- Erich Kästner, Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, 1931; Sachliche Romanze, 1930
- Hans Fallada, Kleiner Mann – was nun?, 1932
- Bertolt Brecht, Die heilige Johanna der Schlachthöfe, 1931
- Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, 1929
- Joseph Roth, Die Flucht ohne Ende, 1927
- Carl Zuckmayer, Der Hauptmann von Köpenick, 1931
- Kurt Tucholsky, Angestellte, 1926; Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte, 1931
- Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen, 1932
- Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald, 1931; Der ewige Spießer, 1930
- Egon Erwin Kisch, Der Rasende Reporter, 1924
- Joachim Ringelnatz, verschiedene Gedichte, aktiv in den 1920er und 1930er Jahren
Quellen und Links
- Wolfgang Beutin u. a.: Deutsche Literaturgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. 9., aktualisierte und erweiterte Aufl. 2019. Metzler, Stuttgart.
- Albert Meier: Neuere deutsche Literaturgeschichte. Christian-Albrechts-Universität zu Kiel. 2023. (Abgerufen: 21. Juni 2024)
- Helmut de Boor und Richard Newald: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart. Beck, München 1971 ff
- Seite „Epoche (Literatur)“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 5. Oktober 2023, 04:39 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Epoche_(Literatur)&oldid=237886605 (Abgerufen: 21. Juni 2024)
- Prof. Dr. Volker Frederking: Literarische Epochen, in ARD alpha, Stand: 22.11.2016 URL: https://www.ardalpha.de/lernen/alpha-lernen/faecher/deutsch/6-literarische-epochen-literatur100.html (Abgerufen: 21. Juni 2024)
Siehe auch:
Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 22. Juni 2024