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Neue Sachlichkeit (Literatur)

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Die Neue Sachlichkeit war eine literarische Strömung in Deutschland während der Weimarer Republik, die sich durch eine nüchterne, realistische Darstellung der gesellschaftlichen Realitäten auszeichnete. Sie entstand als Reaktion auf den vorhergehenden Expressionismus und zielte darauf ab, eine objektive, ungeschönte Sicht auf die zeitgenössischen sozialen und politischen Bedingungen zu bieten.

Definition Neue Sachlichkeit

Die Neue Sachlichkeit ist eine literarische Bewegung, die durch eine direkte, unverblümte und oft kritische Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit gekennzeichnet ist. Diese Strömung verzichtet auf emotionale Überhöhung und subjektive Verzerrung, stattdessen steht die genaue, oft dokumentarisch anmutende Beobachtung im Vordergrund, um eine objektive Darstellung der Realität zu erreichen.

Neue Sachlichkeit – Podcast

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Neue Sachlichkeit Epoche – geschichtlicher Hintergrund

Die Neue Sachlichkeit ist eng mit der Weimarer Republik verbunden, einer Zeit großer politischer und sozialer Umbrüche in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg.

  • Zeitraum: Die Bewegung erstreckte sich über die Jahre 1919 bis 1933, die gesamte Dauer der Weimarer Republik.
  • Politische Instabilität: Die Nachkriegsjahre waren von politischer Unsicherheit, wirtschaftlicher Instabilität und gesellschaftlicher Unruhe geprägt.

Diese Periode erlebte eine Abkehr von den idealistischen Überhöhungen des Expressionismus hin zu einer nüchternen Betrachtung der Realität. Künstler und Schriftsteller suchten nach neuen Formen, um die veränderte Welt um sie herum direkt und unverfälscht darzustellen.

  • Wirtschaftliche Krisen: Die Hyperinflation der frühen 1920er Jahre und die Weltwirtschaftskrise ab 1929 verschärften die sozialen Spannungen und beeinflussten maßgeblich die thematische Ausrichtung der Literatur und Kunst dieser Epoche.
  • Technischer Fortschritt: Die fortschreitende Technisierung und Urbanisierung veränderten das alltägliche Leben und wurden wichtige Themen in den Werken der Neuen Sachlichkeit.

Die Neue Sachlichkeit spiegelte ein wachsendes Bedürfnis wider, die Wirklichkeit ohne Beschönigung darzustellen, was in einer Zeit der Unsicherheit und des Wandels als notwendig erachtet wurde. Autoren und Künstler dieser Bewegung betonten die Notwendigkeit, die gesellschaftlichen Zustände kritisch zu reflektieren und literarisch zu verarbeiten.

  • Reaktion auf den Expressionismus: In Abgrenzung zum emotional geladenen und oft apokalyptischen Ton des Expressionismus, suchte die Neue Sachlichkeit nach einer sachlichen und objektiven Darstellungsweise.
  • Kulturelle Blütezeit: Trotz oder gerade wegen der politischen und wirtschaftlichen Krisen erlebte die Weimarer Republik eine Zeit kultureller Blüte, in der auch die Neue Sachlichkeit ihren festen Platz fand.

Die Epoche endete mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten, die eine völlig andere kulturelle Agenda verfolgten und die Vertreter der Neuen Sachlichkeit sowie ihre Werke systematisch verfolgten und zensierten.

Neue Sachlichkeit Merkmale – Welt- und Menschenbild

Die Neue Sachlichkeit zeichnet sich durch ein nüchternes und objektives Weltbild aus, das eine starke Reaktion auf die vorherige expressionistische Epoche darstellt.

  • Realismus und Objektivität: Die Bewegung strebte danach, die Welt so realistisch und ungeschönt wie möglich darzustellen. Künstler und Autoren fokussierten sich auf die präzise Beobachtung und dokumentarische Genauigkeit.

Dieses Weltbild reflektiert die technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit und zeigt eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den sozialen Realitäten. Es geht nicht darum, eine idealisierte Vorstellung zu erzeugen, sondern die Wirklichkeit in ihrer oft rohen und unvollkommenen Form zu erfassen.

  • Abkehr von Emotionalität: Im Gegensatz zum Expressionismus, der die inneren Gefühlswelten betonte, legte die Neue Sachlichkeit Wert auf eine distanzierte und analytische Betrachtung der menschlichen Zustände.
  • Sozialkritik: Viele Werke thematisieren die soziale Ungleichheit und die Auswirkungen der Industrialisierung auf das Individuum.

Das Menschenbild in der Neuen Sachlichkeit ist oft von einer gewissen Ernüchterung geprägt, die aus den Erfahrungen des Ersten Weltkriegs und den folgenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten resultiert. Die Figuren in der Literatur und Kunst dieser Bewegung sind typischerweise einfache Menschen, die mit den Herausforderungen der modernen Gesellschaft konfrontiert sind.

  • Figuren als Produkte ihrer Umwelt: Charaktere werden oft als Produkte ihrer sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen dargestellt, was zu einer Betonung der Umweltfaktoren über individuelle Eigenschaften führt.
  • Kritische Betrachtung der Moderne: Die Neue Sachlichkeit bietet oft eine kritische Betrachtung der Modernisierung und ihrer Auswirkungen auf den Menschen, wobei sie technologische Fortschritte sowohl fasziniert als auch kritisch hinterfragt.

Neue Sachlichkeit Merkmale – Themen und Motive

Die Neue Sachlichkeit beschäftigte sich intensiv mit der direkten und ungeschönten Darstellung der Realität, was sich in spezifischen Themen und Motiven manifestierte.

  • Gesellschaftliche Probleme: Werke dieser Epoche fokussieren auf die Darstellung sozialer Missstände und politischer Konflikte, besonders im Kontext der Weimarer Republik.
  • Technologie und Fortschritt: Die ambivalente Haltung gegenüber der technologischen Entwicklung und deren Einfluss auf das tägliche Leben ist ein wiederkehrendes Motiv.

Die Literatur und Kunst der Neuen Sachlichkeit wollte eine Spiegelung der tatsächlichen Verhältnisse bieten und schreckte dabei nicht vor der Darstellung unangenehmer Wahrheiten zurück.

  • Alltagsleben: Das gewöhnliche Leben der Bevölkerung, oft in städtischen Milieus, wird mit besonderer Betonung auf Realismus und Detailgenauigkeit dargestellt.
  • Kriegsfolgen: Die langanhaltenden Auswirkungen des Ersten Weltkriegs auf die Gesellschaft und das individuelle Bewusstsein wurden kritisch untersucht.

Einfache Sprache

Die einfache Sprache ist ein charakteristisches Merkmal der Neuen Sachlichkeit, um breite Bevölkerungsschichten anzusprechen und die Botschaften verständlich zu machen.

  • Klarheit und Zugänglichkeit: Die Autoren nutzten eine klare, direkte Sprache, um komplexe Sachverhalte verständlich zu machen.
  • Vermeidung von Lyrik: Es wurde oft eine prosaische, nüchterne Sprachform gewählt, um Distanz und Objektivität zu wahren.

Montage

Die Technik der Montage, entlehnt aus dem Film, wurde verwendet, um verschiedene Realitätsausschnitte zusammenzuführen und dadurch eine intensivere Wirkung zu erzielen.

  • Zusammenfügen von Textelementen: Durch das Nebeneinanderstellen unterschiedlicher Textformen, wie Zeitungsausschnitte oder Werbeanzeigen, entstand ein vielschichtiges Bild der Realität.
  • Visualität und Dynamik: Die Montagetechnik ermöglichte eine dynamische und visuell ansprechende Darstellung gesellschaftlicher Zustände.

Kunst

In der Kunst spiegelte die Neue Sachlichkeit den Wunsch nach einer realistischen Darstellung der Welt wider, die frei von romantischen Verklärungen war.

  • Fokus auf das Objektive: Künstler wie Otto Dix und George Grosz stellten mit scharfer Präzision die Brutalität und die Entmenschlichung in der Gesellschaft dar.
  • Kritik an der Bourgeoisie und Kriegsverherrlichung: Viele Kunstwerke zeigten eine kritische Auseinandersetzung mit dem Bürgertum und der Militarisierung der Gesellschaft.

Neue Sachlichkeit – Gattungen und typische Vertreter

Epik

In der Epik der Neuen Sachlichkeit dominieren vor allem Romane und Erzählungen, die eine realistische und detailgetreue Darstellung des Alltagslebens bieten. Diese literarischen Werke zeichnen sich durch ihre nüchterne, oft lakonische Prosa aus, die sich intensiv mit sozialen Themen und gesellschaftlichen Missständen auseinandersetzt.

Autoren wie Erich Kästner mit seinem Werk Fabian. Die Geschichte eines Moralisten und Hans Fallada, der in Kleiner Mann – was nun? die Herausforderungen des kleinen Mannes in der Wirtschaftskrise darstellt, nutzen häufig eine unprätentiöse, klare Sprache, um die Realität ohne jede Beschönigung darzustellen, wodurch die Texte eine starke soziale und politische Dimension erhalten. Charakteristisch für die epische Literatur dieser Epoche ist auch die Darstellung von Figuren als Produkte ihrer Umwelt, was die soziologischen Perspektiven der Zeit widerspiegelt.

Lyrik

Obwohl die Lyrik in der Neuen Sachlichkeit weniger verbreitet ist als die Prosa, spielt sie eine wichtige Rolle in der literarischen Landschaft dieser Epoche. Die Gedichte zeichnen sich durch ihre klare, ungeschmückte Sprache aus und behandeln häufig aktuelle gesellschaftliche Themen mit einer oft kritischen Perspektive.

Dichter wie Bertolt Brecht, dessen Sammlungen Hauspostille und später Svendborger Gedichte gesellschaftliche Missstände anprangern, und Gottfried Benn, der in seinen späteren Werken eine nüchterne Sprache zur Darstellung des Alltags verwendet, vermeiden ornamentale Elemente und emotional aufgeladene Bildsprache, die typisch für vorangegangene literarische Strömungen waren. Stattdessen finden sich präzise und knappe Verse, die die Realität direkt und unverblümt einfangen. Durch die Konzentration auf Alltagsprobleme und soziale Ungerechtigkeiten fungieren die Gedichte der Neuen Sachlichkeit als ein Medium für soziale und politische Kritik.

Dramatik

Das dramatische Werk der Neuen Sachlichkeit ist tief mit den gesellschaftlichen Veränderungen der Zeit verwurzelt und spiegelt die sozialen Umbrüche der Weimarer Republik wider. Die Theaterstücke dieser Strömung nutzen eine direkte, klare Sprache und eine deutlich strukturierte Handlung, um eine starke soziale Botschaft zu übermitteln.

Dramatiker wie Bertolt Brecht, dessen Stücke wie Die heilige Johanna der Schlachthöfe die wirtschaftlichen und sozialen Missstände anprangern, und Ödön von Horváth, bekannt für Geschichten aus dem Wiener Wald, das die Entfremdung innerhalb der Gesellschaft darstellt, nutzen oft eine minimalistische Inszenierung, die den Fokus auf den Text und dessen Aussagen legt. Thematisch behandeln sie häufig die Herausforderungen und Konflikte innerhalb der modernen, industrialisierten Gesellschaft. Durch das Aufzeigen von sozialen Missständen und die Darstellung von alltäglichen, aber oft vernachlässigten Charakteren, dient das Theater der Neuen Sachlichkeit als ein Spiegel der Gesellschaft und als Werkzeug für sozialen Wandel.

Neue Sachlichkeit – Wichtige Autoren und Werke

  • Erich Kästner, Fabian. Die Geschichte eines Moralisten, 1931; Sachliche Romanze, 1930
  • Hans Fallada, Kleiner Mann – was nun?, 1932
  • Bertolt Brecht, Die heilige Johanna der Schlachthöfe, 1931
  • Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, 1929
  • Joseph Roth, Die Flucht ohne Ende, 1927
  • Carl Zuckmayer, Der Hauptmann von Köpenick, 1931
  • Kurt Tucholsky, Angestellte, 1926; Schloß Gripsholm. Eine Sommergeschichte, 1931
  • Irmgard Keun, Das kunstseidene Mädchen, 1932
  • Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald, 1931; Der ewige Spießer, 1930
  • Egon Erwin Kisch, Der Rasende Reporter, 1924
  • Joachim Ringelnatz, verschiedene Gedichte, aktiv in den 1920er und 1930er Jahren

Quellen und Links

Siehe auch:

Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 22. Juni 2024