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Empfindsamkeit (Epoche)

Empfindsamkeit (Epoche)

Die Empfindsamkeit markiert eine bedeutende literarische und kulturelle Phase in der deutschen Geschichte. Sie entwickelte sich während der europäischen Aufklärung und steht für eine Zeit, in der das Gefühl und die individuelle moralische Erfahrung eine zentrale Rolle spielten.

Definition Empfindsamkeit

Die Empfindsamkeit ist eine literarische Strömung und geistige Haltung im 18. Jahrhundert, die das überschwängliche Gefühl und die Betonung des individuellen Seelenlebens in den Mittelpunkt stellt. Sie reagiert auf die rationalistischen Tendenzen des vorangegangenen Zeitalters und hebt die moralischen Werte des Gefühls hervor.

Empfindsamkeit – Porträt Sophie von La Roche

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Empfindsamkeit Epoche – geschichtlicher Hintergrund

Die Empfindsamkeit entwickelte sich als eine kulturelle und literarische Bewegung in Deutschland gegen Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese Epoche repräsentiert eine Abkehr von der streng rationalistischen Denkweise, die das frühe Aufklärungszeitalter dominierte.

  • Ursprung: Entstand im Kontext des späten Barocks und des beginnenden Aufklärungszeitalters.
  • Zeitrahmen: Blühte zwischen 1740 und 1790, einem Zeitraum, der geprägt war von sozialen und politischen Veränderungen in Europa.

Die Bewegung war eine Reaktion auf die empfundene Kälte des Rationalismus und auf die hierarchischen Strukturen des Absolutismus. In dieser Zeit erlebte Europa tiefgreifende Veränderungen, die auch die sozialen und kulturellen Sphären durchdrangen.

  • Philosophische Einflüsse: Stark beeinflusst von den Ideen der britischen Empiristen, wie David Hume, die die Bedeutung der Empfindung und der subjektiven Wahrnehmung betonten.
  • Religiöse Kontexte: Der Pietismus spielte eine entscheidende Rolle, indem er die Introspektion und persönliche Religiosität förderte.

Die Empfindsamkeit förderte eine Literatur und Kultur, die das individuelle Gefühl und die tiefe, oft schmerzlich empfundene Empathie gegenüber der menschlichen Leidensfähigkeit in den Vordergrund rückte. Dies spiegelte sich in der literarischen Produktion jener Zeit wider, die eine feine Sensibilität für die Nuancen des menschlichen Gefühlslebens zeigte.

  • Gesellschaftliche Veränderungen: Die Epoche sah eine Zunahme der Leserschaft durch den Aufstieg des Bürgertums und die damit verbundene Verbreitung des Buchdrucks.
  • Kultureller Austausch: Intensivierte Handelsbeziehungen und philosophischer Austausch zwischen den europäischen Ländern trugen zur Verbreitung empfindsamer Ideen bei.

Diese historische Periode war geprägt von einem tiefen Glauben an die moralische Kraft der Gefühle, welche die Empfindsamkeit als Gegenbewegung zum dominanten Rationalismus und seinen sozialen Manifestationen positionierte. Der Wunsch, die menschliche Erfahrung in ihrer ganzen emotionalen Tiefe zu erkunden und darzustellen, führte zu einer neuen Wertschätzung der persönlichen und oft privaten Aspekte des Lebens.

Empfindsamkeit Merkmale – Welt- und Menschenbild

Die Empfindsamkeit prägte ein charakteristisches Welt- und Menschenbild, das sich tiefgreifend von den vorherrschenden Vorstellungen des Rationalismus unterschied. Dieses Bild zeichnete sich durch eine ausgeprägte Wertschätzung für Emotionen und eine nuancierte Betrachtung des menschlichen Seelenlebens aus.

  • Menschliches Gefühl: Im Zentrum stand die Überzeugung, dass echte Menschlichkeit durch die Fähigkeit zum tiefen Fühlen definiert wird.
  • Moralität und Ethik: Gefühle wurden nicht nur als persönliche Erfahrungen verstanden, sondern auch als grundlegende Komponenten der Moral und Ethik.

Die Bewegung stellte die Authentizität der Gefühle über die rationale Analyse und argumentierte, dass Emotionen eine unerlässliche Grundlage für die Bildung ethischer Werte sind. Diese Ansicht widersetzte sich der damals dominanten Auffassung, dass Vernunft allein der Schlüssel zur moralischen Wahrheit sei.

  • Natur und Einfachheit: Die Natur wurde als Quelle der Wahrheit und Schönheit idealisiert, oft im Gegensatz zu den als korrumpiert betrachteten städtischen und höfischen Lebensformen.
  • Individualität: Großer Wert wurde auf die individuelle Ausdruckskraft und die Unverwechselbarkeit persönlicher Erfahrungen gelegt.

In der Literatur führte dies zu einer Vorliebe für bestimmte Themen und Darstellungsweisen, die das Innenleben und die emotionalen Reaktionen der Charaktere in den Vordergrund rückten. Die empfindsame Literatur suchte die Leser emotional zu berühren und zur Reflexion über ihre eigenen Gefühle und moralischen Werte anzuregen.

  • Empathie und Mitgefühl: Die Fähigkeit, Mitgefühl zu empfinden, wurde als Zeichen von Tugend und Verfeinerung betrachtet.
  • Subjektivität: Die Betonung lag auf der subjektiven Wahrnehmung der Welt, was sich in einer introspektiven und oft melancholischen Tonart niederschlug.

Empfindsamkeit Literatur – Merkmale, Themen und Motive

Die Literatur der Empfindsamkeit zeichnet sich durch eine Reihe von charakteristischen Merkmalen, Themen und Motiven aus, die tief in den emotionalen und moralischen Empfindungen der Zeit verwurzelt sind.

  • Introspektion: Ein zentrales Merkmal ist die tiefe psychologische Einsicht in die Charaktere, die oft durch einen introspektiven Erzählstil zum Ausdruck kommt.
  • Emotionale Ausdruckskraft: Die Texte betonen die Intensität der Gefühle und ihre Authentizität, was die Darstellung menschlicher Erfahrungen besonders nuanciert macht.

In der empfindsamen Literatur wird das innere Leben der Figuren detailliert und mit großer emotionaler Tiefe dargestellt. Die Autoren nutzten die Literatur als Medium, um die Komplexität menschlicher Gefühle und die moralischen Dilemmata ihrer Zeit zu erforschen.

  • Natur als Spiegel der Seele: Die Natur wird häufig als Spiegel oder Echo innerer Zustände verwendet, was die Verbundenheit zwischen Mensch und Natur betont.
  • Freundschaft und Liebe: Diese Themen sind oft zentral und werden idealisiert als höchste Formen menschlicher Beziehung dargestellt, die echtes Verständnis und tiefes emotionales Engagement erfordern.

Die Handlungen sind häufig auf Konflikte ausgerichtet, die sich aus den Spannungen zwischen persönlichen Gefühlen und gesellschaftlichen Erwartungen ergeben. Dies reflektiert das Streben der Empfindsamkeit nach Authentizität in einer oft als künstlich empfundenen gesellschaftlichen Welt.

  • Melancholie und Sehnsucht: Viele Werke thematisieren Gefühle der Melancholie und Sehnsucht, die als ehrliche und tiefe menschliche Emotionen gesehen werden.
  • Moralische Integrität: Die Figuren werden oft mit moralischen Entscheidungen konfrontiert, die ihr tiefes Empfinden und ihre ethischen Überzeugungen testen.

Die Literatur der Empfindsamkeit eröffnet einen Raum, in dem die Leser eingeladen sind, über die Natur des menschlichen Gefühls und die Bedeutung von Moral und Ethik nachzudenken. Sie bietet ein Fenster in eine Zeit, in der Gefühl und Vernunft in einem komplexen Dialog standen, um die menschliche Erfahrung vollständig zu erfassen.

Empfindsamkeit – Gattungen und typische Vertreter

Epik

In der Epik der Empfindsamkeit dominieren Romane und Erzählungen, die tief in das Innenleben ihrer Charaktere eindringen, um deren emotionale Landschaften detailliert zu erkunden. Besonders hervorzuheben sind die Briefromane, eine populäre Form, die es Autoren ermöglicht, durch die direkte Kommunikation der Figuren deren intimste Gedanken und Gefühle auszudrücken.

Diese Romane zeichnen sich durch ihre unmittelbare, oft schonungslose Darstellung der subjektiven Empfindungen aus, die es dem Leser erlaubt, eine tiefgreifende emotionale Verbindung mit den Figuren aufzubauen. Werke wie Geschichte des Fräuleins von Sternheim von Sophie von La Roche nutzen diese Technik, um komplexe Charakterstudien zu liefern und soziale sowie persönliche Konflikte zu thematisieren.

Dramatik

Im Bereich der Dramatik spiegeln sich empfindsame Themen vorrangig im bürgerlichen Trauerspiel wider. Diese Dramen, die sich durch eine Konzentration auf die moralischen und emotionalen Konflikte der bürgerlichen Klasse auszeichnen, bieten eine Bühne für die Darstellung intensiver persönlicher und familiärer Dilemmata.

Charakteristisch für diese Stücke ist ihre Fähigkeit, tiefgreifende soziale Fragen innerhalb des Rahmens alltäglicher familiärer Beziehungen zu erörtern, wodurch das Publikum unmittelbar angesprochen und zur Reflexion angeregt wird. Beispiele hierfür sind Werke wie Miss Sara Sampson von Gotthold Ephraim Lessing, die eine detaillierte Analyse von Schuld, Tugend und Vergeltung bieten.

Lyrik

Die Lyrik der Empfindsamkeit zeichnet sich durch ihre intensive Auseinandersetzung mit Gefühlen und einer starken Fokussierung auf das Subjektive aus. Die Gedichte nutzen häufig die Natur als Metapher für die emotionalen Zustände der Sprecher und sind von einer sanften, oft melancholischen Tonlage geprägt.

Diese Naturbilder spiegeln die inneren Empfindungen der Charaktere wider und schaffen eine starke empathische Verbindung zwischen Text und Leser. Dichter wie Friedrich Gottlieb Klopstock in seinem Werk Die Frühlingsfeier nutzen die lyrische Form, um komplexe Gefühlslagen wie Verehrung, Liebe und Trauer zu artikulieren, die in engem Dialog mit der natürlichen Welt stehen und eine Reflexion über persönliche und universelle Themen anregen.

Empfindsamkeit – wichtige Autoren und Werke

  • Friedrich Gottlieb Klopstock, Die Frühlingsfeier, 1759
  • Sophie von La Roche, Geschichte des Fräuleins von Sternheim, 1771

Häufige Fragen zum Thema Empfindsamkeit

Wann war die Epoche der Empfindsamkeit?

Die Epoche der Empfindsamkeit in der deutschsprachigen Literatur erstreckte sich von etwa 1740 bis 1790. Diese literarische Strömung fiel in die Zeit der Aufklärung und überlappte teilweise mit dem Sturm und Drang.

Welche Merkmale kennzeichnen die Empfindsamkeitsepoche?

Die Epoche der Empfindsamkeit ist gekennzeichnet durch eine starke Betonung der Gefühle und der inneren Erlebniswelt der Charaktere. Literarische Werke dieser Zeit zeigen eine tiefe Sensibilität gegenüber moralischen und ethischen Fragen und bevorzugen einen einfühlsamen, oft auch melancholischen Ton. Natur und persönliche Beziehungen spielen eine zentrale Rolle, und es gibt eine Abwendung von den strengen rationalen Ansichten der Aufklärung hin zu mehr Emotionalität und Subjektivität.

Quellen und Links

Siehe auch: