Die Welt von Gestern - Stefan Zweig

Orlando

„Und da alle Liebeserlebnisse Orlandos sich um Frauen gedreht hatten, so war es (…) auch jetzt noch eine Frau, die sie liebte, obwohl sie nun selbst eine Frau war; und wenn das Bewußtsein, daß sie dem gleichen Geschlecht angehörte, überhaupt dabei eine Wirkung ausübte, so war es die, daß es die Gefühle, die Orlando als Mann gehabt hatte, verstärkte und vertiefte.“

Virginia Woolf. Orlando. Die Geschichte eines Lebens.

Übersetzt von Karl Lerbs. Erstdruck dieser Übersetzung: Insel-Verlag, Leipzig 1928.

„Orlando“ – Zusammenfassung / Inhaltsangabe

Einführung in die Figur Orlando

Virginia Woolfs „Orlando“ ist eine faszinierende Erzählung, die das Leben des Protagonisten Orlando über mehrere Jahrhunderte hinweg verfolgt. Ursprünglich ein junger Adliger im 16. Jahrhundert, durchlebt Orlando eine außergewöhnliche Reise sowohl in zeitlicher als auch in geschlechtlicher Hinsicht.

Die Reise durch die Zeit

Orlandos Leben erstreckt sich vom Elisabethanischen England bis in das 20. Jahrhundert. Diese Zeitspanne ermöglicht es Woolf, die Veränderungen in der Gesellschaft, der Kultur und den Geschlechterrollen zu erforschen. Orlando selbst altert dabei kaum und wird Zeuge sowie Teilnehmer an bedeutenden historischen und kulturellen Entwicklungen.

Der Geschlechtswechsel

Ein Wendepunkt in der Erzählung ist Orlandos Geschlechtswechsel. Im 18. Jahrhundert erwacht Orlando als Frau und setzt ihr Leben in dieser neuen Identität fort. Dieser Wechsel ermöglicht eine tiefgehende Auseinandersetzung mit den Konzepten von Geschlecht und Identität, weit entfernt von biologischen oder sozialen Zwängen.

Orlando in der Literatur und Kultur

Als literarische Figur steht Orlando sowohl für die Persönlichkeitsentwicklung als auch für die soziokulturelle Kritik, die Virginia Woolf durch das Werk ausübt. Durch die einzigartige Verknüpfung von Geschichtsschreibung, Biografie und Fiktion schafft Woolf ein Werk, das nicht nur die Grenzen von Zeit und Geschlecht überschreitet, sondern auch neue Wege in der literarischen Formgebung geht.

Abschluss der Erzählung

Das Buch endet mit Orlando im 20. Jahrhundert, wo sie als Frau eine gewisse innere Ruhe und Akzeptanz ihrer vielfältigen Identitäten gefunden hat. Trotz der tiefgreifenden Veränderungen in ihrem Leben und der Gesellschaft bleibt die Suche nach Liebe, Ausdruck und Zugehörigkeit ein zentrales Thema.

„Orlando“ – Analyse von Aufbau und Sprache

Aufbau des Romans

Der Aufbau von „Orlando“ ist einzigartig, da er die Grenzen zwischen Biografie, Geschichtsschreibung und Fiktion verwischt. Virginia Woolf nutzt die Lebensgeschichte Orlandos, um durch verschiedene Epochen zu reisen, wodurch eine reiche Darstellung von Geschichte und Kultur entsteht.

Erzählstil und Sprache

Virginia Woolfs Sprache ist geprägt von lyrischer Schönheit und Tiefgründigkeit. Ihr Erzählstil in „Orlando“ ist fließend und anpassungsfähig, passend zu den sich wandelnden Zeiten, Orten und Identitäten, die im Roman dargestellt werden. Die Fähigkeit, innere Gedanken und Empfindungen mit poetischer Präzision zu vermitteln, macht die Sprache zu einem mächtigen Werkzeug der Charakterisierung und Atmosphäre.

Symbolik und Metaphern

Woolf verwendet Symbolik und Metaphern, um tiefere Ebenen der Bedeutung in Orlandos Reise zu weben. Die Veränderung der Landschaften, Jahreszeiten und sogar Kleidungsstile dient nicht nur der Darstellung der Zeitreise, sondern auch der Verkörperung innerer Entwicklungen und gesellschaftlicher Veränderungen.

Zeit und Identität

Der Roman erforscht Zeit nicht nur als chronologische Abfolge, sondern als fluides Konzept, das eng mit der Entwicklung der persönlichen und geschlechtlichen Identität verbunden ist. Woolfs innovative Erzählstruktur und Sprache betonen die Relativität von Zeit und die Möglichkeiten persönlicher Transformation jenseits konventioneller Grenzen.

„Orlando“ – Epoche

Die Bedeutung der Epoche für „Orlando“

„Orlando“ entstand in der Zeit des Modernismus, einer Epoche, die für ihre experimentellen Formen in der Literatur und Kunst bekannt ist. Virginia Woolf, als eine führende Figur dieser Bewegung, nutzte innovative narrative Techniken, um die Komplexität der menschlichen Psyche und die Fluidität der Zeit zu erforschen.

Die Reflexion gesellschaftlicher Veränderungen

Der Roman spiegelt die tiefgreifenden sozialen und kulturellen Veränderungen wider, die Europa vom 16. Jahrhundert bis ins 20. Jahrhundert durchlief. Durch die Lebensgeschichte Orlandos werden Themen wie Geschlechterrollen, Machtstrukturen und der Wandel von Kunst und Literatur beleuchtet.

„Orlando“ – Interpretation

Geschlecht und Identität

Im Zentrum der Interpretation von „Orlando“ steht die Auseinandersetzung mit Geschlecht und Identität. Woolfs Darstellung von Orlandos Transformation und der anschließenden Erfahrung in verschiedenen Geschlechterrollen hinterfragt konventionelle Normen und bietet eine kritische Sicht auf die soziale Konstruktion von Geschlecht.

Die Kritik an der historischen Kontinuität

„Orlando“ kann auch als Kritik an der traditionellen Auffassung von Geschichte und historischer Kontinuität verstanden werden. Woolf stellt die lineare Darstellung von Geschichte in Frage und betont stattdessen die Subjektivität der historischen Erfahrung und die Vielfalt der menschlichen Existenz über Zeiten und Kulturen hinweg.

Zeit als zentrales Motiv

Zeit ist ein weiteres zentrales Motiv im Roman und wird sowohl als konkrete historische Zeit als auch als persönliche, subjektive Erfahrung dargestellt. Woolfs Spiel mit der Zeit eröffnet neue Perspektiven auf die Unbeständigkeit von Identität und die Möglichkeit des Wandels.

Die Rolle der Literatur

Schließlich ist „Orlando“ auch eine Reflexion über die Rolle der Literatur und die Macht der Schrift. Durch die Verschmelzung von Biografie und Fiktion erforscht Woolf die Grenzen des Erzählens und die Fähigkeit der Literatur, komplexe Wahrheiten über das menschliche Dasein zu erfassen.

Über die Autorin Virginia Woolf

Virginia Woolf: Eine führende Figur des Modernismus

virginia-woolf-orlandoVirginia Woolf gilt als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts und als eine zentrale Figur des literarischen Modernismus. Ihre Werke sind bekannt für ihre innovativen narrativen Techniken, die Tiefgründigkeit psychologischer Porträts und die kritische Auseinandersetzung mit sozialen Normen.

Leben und Werk

Virginia Woolf wurde 1882 in London geboren und war Mitglied der Bloomsbury Group, einem Kreis von Künstlern, Schriftstellern und Denkern, die in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wesentlichen Einfluss auf die englische Kultur und Literatur hatten. Woolfs umfangreiches Oeuvre umfasst Romane, Essays, Kritiken und Tagebücher.

Häufige Fragen

Warum verwandelt sich Orlando in eine Frau?

Die Verwandlung Orlandos in eine Frau ermöglicht es Virginia Woolf, die gesellschaftlichen Konstruktionen von Geschlecht und Identität zu hinterfragen. Diese Transformation ist ein zentrales Element, das die Fluidität und Konstruiertheit von Geschlechterrollen thematisiert.

Ist „Orlando“ eine Biografie?

„Orlando“ wird oft als pseudo-biografischer Roman beschrieben. Woolf vermischt Elemente der Fiktion mit biografischen Zügen, um über die Grenzen der Zeit, des Geschlechts und der Gattung hinauszugehen. Diese Vermischung schafft eine einzigartige narrative Form, die sowohl die Geschichte eines individuellen Lebens als auch allgemeine Fragen der menschlichen Existenz erkundet.

Inwiefern ist „Orlando“ ein Kommentar zur Geschichte und Kultur?

Durch die Lebensgeschichte Orlandos, die sich über mehrere Jahrhunderte erstreckt, bietet Woolf einen einzigartigen Einblick in die Entwicklung der Gesellschaft, der Kultur und der Geschlechterrollen. Der Roman fungiert als kritisches Instrument, mit dem traditionelle historische Narrationen und soziokulturelle Normen hinterfragt werden.

Was sagt „Orlando“ über die Zeit aus?

In „Orlando“ wird die Zeit nicht nur als chronologische Abfolge, sondern auch als subjektive Erfahrung dargestellt. Woolfs Darstellung betont die Relativität und Fluidität der Zeit, was den Leser dazu anregt, über die lineare Zeitwahrnehmung hinauszudenken und die tieferen Schichten der menschlichen Existenz und Erinnerung zu erkunden.

Literatur und Links

  • Susanne Amrain: So geheim und vertraut. Virginia Woolf und Vita Sackville-West. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1998
  • Seite „Orlando (Roman)“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 23. Januar 2024, 10:13 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Orlando_(Roman)&oldid=241459089 (Abgerufen: 27. März 2024)
  • Caroline Zoob: Der Garten der Virginia Woolf: Inspirationsquelle einer engagierten Schriftstellerin [= Virginia Woolf’s Garden. Country Planting at a Writer’s Retreat]. Fotografien von Caroline Arber, Vorwort von Cecil Woolf, übersetzt von Claudia Arlinghaus. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2013
  • Seite „Hruotland“. In: Wikipedia – Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 24. Oktober 2023, 11:48 UTC. URL: https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Hruotland&oldid=238464001 (Abgerufen: 27. März 2024)
  • Frances Spalding: Virginia Woolf. Leben, Kunst & Visionen; Originaltitel: Virginia Woolf: Art, Life and Vision. Aus dem Englischen von Ursula Wulfekamp unter Mitarbeit von Matthias Wolf. Sieveking, München 2016
  • Alexandra Harris: Virginia Woolf. aus dem Englischen von Tanja Handels und Ursula Wulfekamp. L.S.D. im Steidl Verlag, Göttingen 2015

Buchausgabe

Vollständige Neuausgabe, Göttingen 2019. LIWI Literatur- und Wissenschaftsverlag

Buchumschlag unter Verwendung des Bildes „Lady in a Red Hat – Vita Sackville-West“, William Strang, 1918.

Deutsche Übersetzung Karl Lerbs im Taschenbuch:
ISBN: 396542131X
EAN: 9783965421318
 184 Seiten

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Verfasst von Thomas Löding, LIWI Blog, zuletzt aktualisiert am 27. März 2024